: Katastrophen-Politik
Erdbeben ist nicht gleich Erdbeben - und der Iran ist nicht Armenien ■ K O M M E N T A R E
Als 1988 die armenische Erde bebte, stand die Welt Kopf. Mitleid mit dem geprüften armenischen Volk flutete durch die Spalten der internationalen Presse. Die internationale Hilfe floß in unerwartet großen Strömen. Schließlich handelte es sich um ein christliches Volk, dem obendrein von wilden Moslems der Garaus gemacht werden sollte.
Jetzt bebte die Erde wieder, einige hundert Kilometer weiter südöstlich. Es handelt sich um ein Land, das sieben Jahre Krieg geführt und Millionen Opfer zu beklagen hat. Es hat 2,5 Millionen Afghaner aufgenommen und muß mit 1,5 Millionen durch die Golfkriegswirren vertriebenen Inlandsflüchtlingen fertigwerden. Und nun starben noch einmal 50.000 Menschen in wenigen Tagen, und bis zu einer halben Million wurden obdachlos.
Doch wie reagierte die Weltöffentlichkeit diesmal? „Iran läßt keine ausländischen Rettungsteams ins Land“, titelt die 'Süddeutsche Zeitung‘ am Samstag. „Nach Informationen aus Genf“, so die Hamburger Nachrichtenagentur 'dpa‘, sei Iran an der Mitarbeit ausländischer Hilfskräfte „nicht besonders interessiert“. Im Fernsehen wurde beklagt, daß es für Hilfsteams nur 24-Stunden-Visa gäbe. Die 'Faz‘ erregte sich wortreich über die „verzögerte Hilfe“ und zitierte einen Funktionär mit der Bemerkung, die iranische Reaktion sei „für die Betroffenen von Nachteil“. Schwerstes Geschütz fuhr die Pariser Zeitung 'Le Monde‘ auf. Höchst unüblich für diese Zeitung erschien ein anonymer Korrespondentenbericht aus Teheran auf der ersten Seite, der mit den Worten begann: „Als ob es nicht fast 40.000 Tote gegeben hätte, (...) erschien die iranische Führung am Samstag, den 23.Juni, noch über ihre Haltung zur westlichen Hilfe geteilt (...) Der Iran bleibt der Iran.“
Während solche Sätze in aller Welt verbreitet wurden, erreichten uns aus dem Erdbebengebiet ganz andere Nachrichten. Im Norden Irans traf ein Hilfsteam nach dem anderen ein, die Sonderkorrespondenten tummelten sich. Das iranische Außenministerium appellierte an die Welt, Hilfe zu leisten, und bereits am Freitag wurden von iranischen Konsulaten in Westeuropa Zehn-Tage-Visa ausgestellt. Katastrophenhelfer gingen an die Öffentlichkeit und lobten die schnelle Reaktion der Regierung in Teheran, die sofort die Hilfskoordination an die UNO abgegeben hatte und damit, so englische und französische Helfer, das sonst übliche Durcheinander vermeiden konnte. Ein Sprecher des Hilfskorps: „Dies könnte ein Modell für zukünftige internationale Reaktionen in Katastrophenfällen werden.“
Den westdeutschen Zeitungslesern wurde dies verschwiegen. Statt die Öffentlichkeit zur Solidarität mit den Opfern zu animieren, wurde eine Kampagne aufgefahren. Die wahnsinnigen Mullahs in Teheran, so mußte die Leserschaft folgern, gehen wieder einmal über Leichen. Wenn christliche Armenier von einer „Prüfung Gottes“ sprechen, fällt Deutschland ihnen um den Hals; wenn es Schiiten tun, wird ihnen fanatische Gleichgültigkeit vorgeworfen. So wurde mit Verdrehungen Politik gemacht. Die Opfer - und auch das Engagement des reichen Deutschland - bleiben auf der Strecke.
Dominic Johnson
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