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Karrieresprung durch Flüchtlings–Job

■ 100 Beamte sollen das Personal des Bundesamtes für die Anerkennung von ausländischen Flüchtlingen verstärken

Aus Berlin Christoph Albrecht

Sechzig „gestandene Amtsmänner“ (und Amtsfrauen) sind in Zirndorf eingetroffen, um dort eine neue Aufgabe anzutreten: für ein Jahr werden sie (nach offizieller Bezeichnung) „Entscheider“ sein, d.h., sie werden sich die Argumente von Asylbewerbern anhören und danach den Daumen nach oben oder unten halten. Dabei ist es ganz egal, ob sie vorher im Bundesfinanzministerium, Verteidigungsministerium, Bundesgesundheitsamt, Umweltbundesamt oder irgendeiner anderen „obersten“ oder „oberen“ Bundesbehörde gearbeitet haben. Voraussetzung ist lediglich eine mehrjährige Erfahrung darin, Verwaltungsentscheidungen zu treffen. Nachdem das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Januar und August dieses Jahres 126 neue Mitarbeiter, davon 36 „Entscheider“, neu eingestellt hat, reichten die dann 130 Angestellten immer noch nicht aus, um die politisch geforderte Beschleunigung der Anerkennungsverfahren zu erreichen. Deshalb faßte das Bundeskabinett Ende August den Beschluß, daß aus den Geschäftsbereichen der Bundesressorts ungefähr hundert Beschäftigte für ein Jahr in der Zirndorfer oder Nürnberger Dienststelle abzuordnen seien. Koordiniert über das Bundesinnenministerium gingen die Anforderungsbriefe in die Spitzenbehörden. Im Bundesversicherungsamt in Berlin ist nach Aussage des Vizepräsidenten Gleitze „keine Kapazität frei“, während der Sprecher des Bundeskartellamtes Schön davon spricht, daß „unsere kleine Behörde ihr Soll erfüllt hat. Eine Kollegin hat sich auf unsere interne Ausschreibung gemeldet“. Die beruflichen Erfahrungen der „Neuen“ gehen querbeet durch die Ministerialbürokratie. Nach einer kurzen Einarbeitung werden sie an Anhörungen teilnehmen, und ein bis zwei Monate später selbst über Asylgesuche entscheiden. Für die weitere Karriere kann dieser Sondereinsatz schon gut sein. Als „besonderer Beweis für Flexibilität und Einsatzbereitschaft“, so schreibt ein Vorgesetzter einer Berliner Behörde, will er die Zirndorfer Zeit in der Personalakte festhalten. Wenn demnächst ein für Asylgesuche verantwortlicher „Entscheider“ die Anhörungspremiere hinter sich hat und noch nicht so recht weiß, wie er die Sache beurteilen soll, kann er sich an erfahrene Praktiker wenden: 54 Mann zusätzliches „Hilfspersonal“ gibt es nämlich auch seit kurzem in Zirndorf. Deren regulärer Arbeitgeber: der Bundesgrenzschutz.

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