■ Karneval im Selbstversuch (Teil 1 von 4): Nach Köln. Die Angst fährt mit
Ein Plan, den Kölner Karneval und seine Wirkung auf eine Hanseatin vor Ort zu untersuchen, wird mehrheitlich als „verrückt“ eingestuft, in einigen Fällen sogar als „zum Scheitern verurteilt“. Nur der Kollege aus der Telefonzentrale ist neidisch und kann nicht glauben, „daß so etwas als Dienstreise genehmigt wird.“
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Was ist Karneval? Womit muß ich rechnen? Erste Erkundigungen zum Thema ergeben: „Karneval ist Ausnahmezustand, und in Köln geht dann nichts mehr, und sie tun schreckliche Dinge“, sagt Kollege Schultheis. Ich bohre nach, wie es sich für eine Journalistin gehört. „Was tun SIE?“ Schultheis starrt düster auf seinen Schreibtisch. „Sie tun alles.“
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„Sie ficken unter der Treppe“, berichtet Herr Blaschke, der mir während des Experiments Unterkunft gewähren will. In aller Öffentlichkeit, erläutert er, würden wildfremde Menschen übereinander herfallen. Wegen Karneval. Und Alkohol. Bereits um neun Uhr morgens, erfahre ich an anderer Stelle, würde beim Karneval getrunken. Bier.
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Kein Bier. „Kölsch ist kein Bier“, weist mich der anerkannte Bierexperte Roth zurecht. Und im übrigen sei Karneval „Trinken auf Rädern im Kopf“.
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Den Kölner Express gekauft. Die Freitagsschlagzeile: „Karneval super, aber sauteuer“. 4,80 Mark koste das kleine Kölsch in der Altstadt. Das gibt zu denken. Aber wer weiß: Vielleicht heißt es morgen schon „Karneval übel, aber schön billig“? Ich blättere um und lese: „OB Burger ließ sich widerstandslos von Altstädter Marie Eva Rück bützen.“ – Bützen?
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Rechercheergebnis, furchteinflößendes: Bützen ist küssen bzw. knutschen oder gar: ablecken. Jeder darf das mit jedem beim Karneval. Daß ich nicht gebützt werden will, würde mir überhaupt nicht helfen, heißt es. Schon bald werde ich gebützt worden sein, wenn ich da überhaupt noch hinfahre. Soll ich das Experiment abbrechen?
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Im Dienste der Wissenschaft muß man Opfer bringen. Ich breche also nicht ab, sondern auf. Nach Köln. Die Angst fährt mit.
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Samstag abend, 20.45 Uhr: Reiseleiter Blaschke hat verfügt, daß man sich am Hauptportal des Kölner Doms treffen soll. Weil viele andere Reiseleiter dort ebenfalls auf ihre Gruppe treffen, präzisiert er: „Und zwar genau an der Klinke.“ Auf diese Idee sind nur noch ein paar Vampire und eine Heuschrecke gekommen. Die anderen 150 Kostümierten und Nichtkostümierten halten Abstand zum Hauptportal. Aus der Ferne dröhnen Trommeln, in der Nähe gehen Flaschen zu Bruch.
Erster Programmpunkt der Karnevalstudien ist der sogenannte Geisterzug. Eine Flasche Bier in der Hand, das bei minus acht Grad gut gekühlt bleibt, erläutert Reiseleiter Blaschke das nun folgende Spektakel: Der mit allerlei Gespenstern bestückte Umzug war Bestandteil des Karnevals, bis er von den Nationalsozialisten verboten wurde. Dabei blieb es bis 1991. Als der Karneval in jenem Jahr wegen Golfkriegsbetroffenheit komplett ausfiel, kam eine Gruppe enttäuschter junger Menschen zurück auf die alte Tradition und so wenigstens zu einer kurzen Runde durch die Stadt. Damals hätten nur etwa 10.000 Zuschauer am Straßenrand gestanden, sagt Herr Blaschke, inzwischen würden es jedes Jahr mehr.
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Bei minus acht Grad reicht eine kurze Betrachtung der Geister, dann muß man in eine Kneipe, um sich aufzuwärmen. Die Reiseleitung will in einen anderen Teil der Stadt – mit der U-Bahn. U-Bahnfahren während des Karnevals geht so: Zweihundert Nahkämpfer fallen gleichzeitig in einen Waggon ein, in dem bereits weitere einhundert feststecken. Wenn der Zug anfährt, kann man sich zwar nirgendwo festhalten, man kann aber auch nicht umfallen. Wenn jemand „Kölle!“ schreit, brüllt der Rest der Gequetschten „Alaaf“.
Und das ist erst der Anfang einer langen Nacht.
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