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■ Karin Luck und der Europäische Erfinderinnen-Verbund:Eine Kapitalistin mit sozialem Antrieb

Berlin (taz) – Warum erhielt Otto Hahn den Nobelpreis, obwohl Lise Meitner, über viele Jahre Hahns Partnerin, der Kernspaltung viel eher auf die Schliche kam? Nach Angaben des Weltpatentamts sind nur etwa sieben der 31 Prozent privater Patentinhaber weiblichen Geschlechts. Sind der Kaffeefilter von Melitta Bentz, die Wegwerfwindel von Marion Donovan und das Tipp-Ex einer schludrigen Sekretärin namens Bette N. Graham etwa die Ausnahme? Und was ist mit der kugelsicheren Weste von Sirvart Mellan? Es sei typisch, sagt die Berliner Erfinderin Karin Luck, daß Frauen sich von ihren Ehemännern oder Kollegen um ihre geistigen Errungenschaften bringen lassen. „Die meisten Frauen haben Angst vor der Macht, sogar vor der positiven“, stellt die 42jährige fest, die sich seit den 60er Jahren, in denen Frauen noch dagegen kämpfen mußten, mit „Fräulein“ angeredet zu werden, als radikale Emanze bezeichnet.

„Ich bin ein Verschnitt zwischen Alice Schwarzer und Trude Unruh.“ Die Zeiten, in denen sie mit Schwarzer Transparente bemalte und zu lautstarken Frauendemos auf die Straße zog, sind für Luck passé. „Wir haben damals viel erreicht, heute kann man anders für die Belange von Frauen einstehen.“ Man braucht nicht einmal eine besondere Sensibilität in Sachen Feminismus, um in der ErfinderInnenbranche ein geschlechtsspezifisches Mißverhältnis zu erkennen. Als Luck 1991 zum ersten Mal an der alljährlichen Welterfindermesse in Genf teilnahm, bot sich ihr ein jämmerliches, doch allzu bezeichnendes Bild: Mit gerademal drei weiteren Erfinderinnen stand die Feministin rund 600 männlichen Mitstreitern gegenüber. Das veranlaßte sie noch im selben Jahr zur Gründung des ersten „Europäischen Erfinderinnenverbundes“, der einfallsreichen Frauen das Know-how für eine erfolgreiche Vermarktung ihrer Produkte vermitteln soll.

Will man Karin Luck einmal so richtig wütend erleben, dann sollte man es einfach wagen, Leute aus ihrer Branche mit dem schnabelnasigen Comic-Wesen zu vergleichen. „Von wegen Düsentrieb! Wir Erfinderinnen haben es nicht nötig, uns als Witzfiguren betiteln zu lassen“, schimpft sie dann, „Bezeichnungen wie PatentinhaberIn oder LizenzvergeberIn sind viel treffender. Merken Sie sich: Wir sind potentielle Millionäre!“

Aus diesem Grund begann Luck vor drei Jahren ihren Erfindungstrieb zu professionalisieren: Sie brauchte 18 Millionen Mark. „Anfangs konnte ich die Summe kaum aussprechen, ohne verlegen zu werden“, gesteht sie, „aber mittlerweile bekenne ich mich dazu, eine Kapitalistin zu sein, wenn auch eine mit sozialem Antrieb.“ Mit dem Geld plant sie ein alternatives Seniorenheim sowie ein feministisches Kulturprojekt. Durch die erfolgreiche Lizenzvergabe von bislang fünf ihrer sieben Patente hat sie diesen Betrag, angelegt in zwei Stiftungen, fast schon zusammen.

Erfinderisch war Karin Luck schon immer, wenn auch zunächst nur für den Eigenbedarf. Mit 17 legte sie los: ein Schnapp-Scharnierschloß-Mechanismus, der es ermöglichte, das elterliche Barfach der Wohnzimmerschrankwand ohne Ruck und Geräusch zu öffnen. Später folgte die Dosenpresse „DosenEx“ (siehe Foto), ein Lucksches Glanzstück. Die Hundebesitzerin hatte es satt, allwöchentlich zwanzig sperrige Chappybüchsen entsorgen zu müssen. Also entwickelte sie ein Instrument, mit dem sich jede Konservendose nach einem einfachen Handgriff auf das Ausmaß einer Bulette reduzieren ließ. „Wer glaubt, wir Erfinderinnen säßen den lieben langen Tag zu Hause und denken uns Sachen aus, liegt falsch. Wir beseitigen Mißstände des Alltags.“ Ihre Energien sind dabei weit gefächert: Bis vor zwei Jahren ging sie sieben Berufen nach: Sie arbeitete u.a. als Teppichdesignerin, in sozialen Bereichen und der Alten-, Fuß-, und Krankenpflege und sammelte dort Ideen. Aus jener Zeit stammt die zu jedem Krankenkassenfahrstuhl passende Rollstuhlpneumatik, welche den Insassen per Knopfdruck auf Barhockerhöhe hinaufkatapultieren kann. Nach dem selben Prinzip funktioniert auch ein Sekretär (Foto), der sich zum Stehpult umwandeln läßt.

Doch mit praktischem Umsetzungsvermögen eigener Problemlösungen allein ist es hier nicht getan. Durchsetzungsvermögen und ein ausgeprägter Geschäftssinn sind mindestens ebenso wichtig für den finanziellen Erfolg eines Projekts. Luck hat kleine Hilfestellungen, die ihren Ehrgeiz in Schwung halten. So mahnt ein Zettel über ihrem Bett: „Schlafen ist Zeitverschwendung!“ Über ihrer Schreibmaschine lockt die Arbeit mit einem Schild: „Wenn ich mich anbiete, dann werde ich reich!“

Der Erfinderinnen-Verbund ist kein Verein mit eingetragenen Mitgliedern. Er hat in erster Linie beratende Funktion und bietet ein Forum zum Erfahrungsaustausch für Frauen, die schon die ersten Voraussetzungen für die erfolgreiche Vermarktung ihrer Patentidee erfüllt haben sollten: die Anmeldung der Erfindung als Gebrauchsmuster, welches einen Schutz von einem Jahr garantiert und die Erstellung eines Anschauungsmodells.

Ganz offensichtlich, so konnte Luck bisher feststellen, haben Frauen und Männer mit ihren patentfähigen Ideen eine sehr unterschiedliche Umgehensweise. Ein Vergleich mit der Fähigkeit zum Kinderzeugen sei gar nicht abwegig: So wie Männer massenweise Kinder und Ideen produzieren können und sogar ein wenig nachlässig damit umgehen, stecken Frauen viel mehr Hege und Pflege in beides. In bezug auf die Ideen fällt es ihnen im entscheidenden Moment jedoch schwer, sie zu vermarkten und vor allem ihren ökonomischen Wert richtig einzuschätzen. „Frau muß sich daran gewöhnen, mit großen Zahlen zu operieren.“ Der Klagestreitwert eines Patents beträgt immerhin fast 10 Millionen Mark.

Frei nach dem Motto „Herumlungern ist Zeitverschwendung“ – es hängt über ihrer Couch – hat Karin Luck ein weiteres Anliegen: Sie hofft, daß sich viele Frauen mit Patentideen bei ihr melden, um in ein Forschungsprojekt über noch lebende Erfinderinnen einzugehen. Kirsten Niemann

Europäischer Erfinderinnen-Verbund, Tel/Fax: 030-6269787

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