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■ Kanzler Kohl und der WirtschaftsaufschwungIn den Schoß gefallen

Wieder einmal kann Helmut Kohl sich zufrieden zurücklehnen. Er hat's doch schon immer gesagt. Der Aufschwung ist da. Die Daten des Statistischen Bundesamtes stützen die Regierungsverlautbarung. Demnach legte die gesamtdeutsche Wirtschaft im ersten Halbjahr um 2,8 Prozent zu. Unser Kanzler hat's also erneut geschafft. In der öffentlichen Wahrnehmung spielt dabei eine geringe Rolle, daß der Aufschwung den 3,8 Millionen Arbeitslosen erst mal gar nichts nützt. Lassen wir auch die für dieses Jahr prognostizierten 20.000 Unternehmenspleiten beiseite. 92 Prozent der deutschen Führungskräfte glauben dennoch, daß Kohl auch nach dem 16. Oktober an der Macht bleibt, und die Wahlprognosen sehen auch zunehmend danach aus.

Daß die Wirtschaft wächst, ist nicht nur Schönfärberei der Regierung im Wahlkampf. Doch ist es wirklich die Regierung Kohl, die mit ihrer Wirtschaftspolitik das Ruder herumriß? Eine Analyse der Gründe für die konjunkturellen Erholung zeigt: Der Regierung fällt der Aufschwung in den Schoß, und das, wie schön, just vor den Wahlen. Denn es ist weder eine angekurbelte Binnennachfrage noch eine erfolgreiche Investitionsförderung. Der Aufschwung kommt vielmehr allein von außen. Die USA legen schon seit einiger Zeit ein schwungvolles Wachstum vor bei gleichzeitig niedrigen Zinsen und bieten zusammen mit den boomenden ostasiatischen Schwellenländern den Deutschen gute Absatzmärkte. Um 5,3 Prozent sind die Exporte gewachsen, die damit die Lokomotive für die konjunkturelle Erholung darstellen. Auch das weltweit niedrige Zinsniveau kann die deutsche Regierung nicht auf ihr Konto verbuchen.

Die Wirtschaft entwickelt sich eben bekanntlich in Zyklen, und die finden längst weltweit statt. Der dicke Kanzler hat schlicht Glück. Hätten die Wahlen in Deutschland zur selben Zeit stattgefunden wie in den USA, nämlich gerade zum Ende der Rezession – mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte es auch hier zu einer Wende gereicht. Nicola Liebert

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