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Kandidaten-Vorwahl in FrankreichMit einem Euro ist jeder dabei

Jeder Stimmberechtigte darf bei der Wahl des sozialistischen Präsidenschaftskandidaten seine Stimme abgeben. Diese neue Form der Mitbestimmung kommt gut an.

Die Kandidaten: Jean-Michel Bayle (v. l. n. r.), Martine Aubry, Manuel Valls, Francois Hollande, Arnaud Montebourg und Segolene Royal. Bild: reuters

PARIS taz | Dreimal haben sich die sechs BewerberInnen dem Polit-Quiz vor französischem Fernsehpublikum gestellt. Jetzt können die Zuschauer am Sonntag ihr Urteil abgeben. Falls nicht wider Erwarten einer gleich auf Anhieb mit einer absoluten Mehrheit das Rennen macht, kommen zwei weiter, die anderen scheiden fürs Finale am 16. Oktober aus.

Attraktiv ist diese Form der politischen Mitbestimmung, weil sie nur den symbolischen Unkostenbeitrag von 1 Euro kostet, plus eine Unterschrift unter eine sehr allgemeine Zustimmung zu den "Grundwerten der Linken und der Republik". Teilnehmen können alle, die in Frankreich wahlberechtigt sind, sowie niedergelassene Ausländer, die Parteimitglied sind. 9.600 Stimmlokale stehen zur Verfügung, 33 Millionen Wahlzettel sind gedruckt.

Da diese Primärwahlen zur Nominierung des oder der sozialistischen KandidatIn bei den Präsidentschaftswahlen vom Frühling 2012 eine Premiere sind, ist das Interesse und womöglich auch die Beteiligung so groß wie die Einschaltquoten. Mit mehr als einer Million TeilnehmerInnen rechnet man bei der Parti Socialiste (PS), bis zu vier Millionen sagen Meinungsforscher voraus.

Da es sich aber um eine politische Neuheit handelt, können sie sich ebenso sehr täuschen wie mit ihren Umfragen, in denen der frühere Parteichef François Hollande (42 Prozent) zum klaren Favoriten und seine Nachfolgerin Martine Aubry (31 Prozent) zu seiner ernsthaftesten Konkurrentin bezeichnet werden. Politisch vertreten die zwei den "Mainstream" des sozialdemokratischen Parteiprogramms, sie sind mehr als Persönlichkeiten zu unterscheiden. Die manchmal sehr verbissen auftretende Aubry meinte darum in der letzten TV-Runde, ohne den stets höflichen Hollande beim Namen zu nennen, wer sich auf den harten Kampf mit Sarkozy einlassen wolle, dürfe nicht "weich" sein.

Versuchen, mal nicht zu streiten

Ségolène Royal liegt mit circa 13 Prozent laut den für sie deprimierenden Wahlprognosen bereits distanziert auf dem dritten Platz und hat zudem den Globalisierungsgegner Arnaud Montebourg auf den Fersen. Dabei glaubt die Expräsidentschaftskandidatin von 2007 felsenfest an ihre ungebrochene Popularität und beansprucht das Recht auf eine Revanche gegen Präsident Sarkozy.

Der sozialliberale Manuel Valls vom rechten Parteiflügel und Jean-Michel Baylet von den mit dem PS verbündeten linken Radikalen (PRG) sind krasse Außenseiter.

Die beiden Favoriten dagegen waren vor den Kameras bemüht, ein möglichst würdiges Spektakel zu bieten, ohne sich in die Haare zu geraten. Wenn die Sympathisanten eines nicht schätzen, dann die Streitereien, die in der Vergangenheit Ursache so mancher Niederlagen waren. Hollandes Bestreben, die überlegene Autorität eines zukünftigen Staatschefs auszustrahlen, wirkte dabei aber ebenso gekünstelt wie Aubrys Lust an einem politischen Hahnenkampf mit Sarkozy. Beide würden zurzeit laut Umfragen ein Wahlduell mit den heutigen Präsidenten klar gewinnen.

Die Bilanz tönt bereits jetzt fast einstimmig positiv: "Diese Debatte erweist der Demokratie einen Dienst", kommentiert Jean Daniel vom Nouvel Observateur. Die demokratische Dynamik, die die Sozialisten mit dieser Urwahl ausgelöst haben, beeindruckt "in der Form, nicht aber im Inhalt" selbst die konservative Regierungspartei UMP, die sich um ihren "Chef" Sarkozy schart. Ihr Sprecher, der Wohnungsminister Benoist Apparu, wünschte, dass auch die UMP solche Primärwahlen organisiert. Aber erst das übernächste Mal: 2017.

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2 Kommentare

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  • A
    Andre

    Die französischen Sozialisten haben ein grundsätzliches Inhaltsproblem: Warum die PS zur stärksten Kraft machen? Was kommt danach?

    Die Fragen darauf schrecken die meisten Wähler und so spekuliert die Parteiführung auf die Ratlosigkeit anderer linker Parteien und dass diese Leute dann schweren Herzens sie wählen bzw. für sie werben.

     

    Tun sie aber nicht unbedingt und vielleicht dieses Mal noch weniger.

     

    Dass die Partei hier weitaus eher eine Medieninszenierung vorführt, als eine wirkliche Debatte über die Zukunft Frankreichs, begreifen viele Menschen schnell. Und die vielen Kandidaten sind auch eher ein Zwangsbekenntnis zur Pluralität linker Strömmungen, als wirkliche Pluralität.

     

    Tatsächlich wäre Sarkozy fällig, seine Partei hat schon kräftig verloren und seine Versprechungen sind meist überhaupt nicht eingelöst worden. Bei so einer Vorlage, sollte es leicht fallen, aber nicht für die PS. Die Partei findet sich selber nicht und wer mit Chaos angreifft, verliert - Show hin oder her.

  • MD
    mit dabei

    Die englischen Konservativen hatten auch Basis-Internet-Crowding eingeführt. Seitdem ist wenig draus geworden. Wer dort unbequeme Fragen einbucht, wird vielleicht abgeholt oder überwacht. Ahmanideschad sollte sowas für "Ich bin schwul" und Syrien für "Ich habe Kritik an der Regierung" einführen damit man weiss, wen man abholen kann... .

     

    Wenn ich Pirat wäre, würde ich solche Basis-demokratierungs-Systeme per Internet einführen. Dann hätte ich die aktuelle FDP-Basis-Abstimmung längst durchgeführt und die FDP müsste diese Server übernehmen. Oh wie schade.

    Dasselbe für Teflon-Partei, die Basta-Partei, die Wir-kritisieren-den-Papst-und-entschuldigen-uns-nie-für-Stasi-Opfer-Partei und natürlich die Internet-Braucht-Keiner-und-A100-auch-nicht-Partei.

    Die Basis will aufmucken. Die Piraten könnten das (ungewählt) in 6 Wochen realisieren und damit den etablierten Parteien die eigene Basis-Kritik vorsetzen und innere Lagerkämpfe (bei denen, nicht bei Piraten) verpassen.

     

    Von daher ist die Sache mit den Wahlbüros künstlich überteuert.

    Wenn die Linke irgendwas zum abstimmen hätte, könnte sie das für alle Bürger für 1 Euro (oder 50 Cent) in ihren vielen Lokal-Büros machen. Solche eine Infrastruktur haben Piraten nicht.

     

    Was Bild macht, könnte der Linken Gewinne einspielen: Bei Bild ruft man für xx Cent an und stimmt ab. Bei den Linken geht man ins Büro und stimmt für 50 Cent ab und davon finanziert man weitere Pads (10", "älter", 199 Euro oder günstiger) mit denen die Linke sich Internetmäßig organisiert und stärker wird als die Gegner.

    Aber vor 100 Jahren hat die Linke wohl auch lieber Pferdekutschen statt neumodische Autos benutzt... .

    Es gibt genialische (unpopulistische, legale, konstruktive, gute) Abstimmungen welche Teflon an die Wand drücken und zum Handeln zwingen würden. Leider ist keine Partei und keine Presse daran interessiert.

    Also kann man weiter miswirtschaften. Bezahlen ja nur die Ärmsten der Armen, also die Linken Mitglieder... . So wie schon Gewerkschaften einen zeitlichen Horizont nur bis zur nächsten Weihnachtsfeier bzw. Sommer-Urlaub und nicht bis zur nächsten Rezession haben.