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Kampf um moderaten Islam in LibyenLiberale sind verunsichert

In Bengasi setzen Islamisten Musiker und unverschleierte Frauen unter Druck. Junge Leute fürchten um die Ziele ihrer Revolution. Im Juni finden Parlamentswahlen statt.

Von Salafisten zerstörter Soldatenfriedhof aus dem Zweiten Weltkrieg in Bengasi. Bild: reuters

BENGASI taz | Jussuf al-Proki hatte es sich gerade mit seinen Freunden in dem provisorischen Backstage-Bereich der Sporthalle von Bengasi gemütlich gemacht. Es waren noch zwei Stunden bis zu seinem großen Auftritt als „MC Swat“, Libyens bekanntestem Rapper.

Zusammen mit dem tunesischen Sänger Balti und anderen Bands aus dem Osten des Landes stand das größte Popkonzert Libyens seit über 40 Jahren an, die Halle war mit 5.000 Tickets ausverkauft und schon halb gefüllt. Plötzlich stürmten Bewaffnete der Shuhada-al-Watan-Brigade das Gebäude und verboten den Künstlern den Auftritt.

„Die Bärtigen haben gedroht, sie würden jemanden umbringen, wenn das Konzert stattfindet. Ich kenne einige von ihnen und weiß, dass auch sie meine Musik hören. Aber irgendjemand hat diesen Salafisten befohlen, den aufkeimenden Freiheitsdrang der libyschen Jugend zu unterbinden, vielleicht haben sie Angst vor der Macht unserer Musik“, sagt al-Proki.

Seit Anfang Februar ist die liberale Mehrheit in Bengasi verunsichert. Eine Reihe von Zwischenfällen erschütterte die gerade entstehende Parteienszene und Zivilgesellschaft. Der britische Soldatenfriedhof aus dem Zweiten Weltkrieg wurde von Salafisten zerstört, eine Demonstration für mehr Autonomie beschossen und ein UN-Konvoi mit einer Handgranate angegriffen.

In der Nacht zu Samstag erschütterte ein Bombenanschlag das Stadtgericht der zweitgrößten Stadt Libyens. Kurz nachdem der Nationale Übergangsrat (TNC), der sich nach Beginn des Aufstands gegen Machthaber Muammar al-Gaddafi in Bengasi gegründet hatte, in der Nähe tagte, riss die Explosion ein zehn Meter großes Loch in die Außenwand, verletzt wurde niemand.

Unverschleierte Frauen wie sie sind nichts Besonderes in Bengasi, dennoch sind Dina Galal und Nada Ebkoora am Nachmittag nur noch ungern in der Innenstadt unterwegs. Bild: Mirco Keilberth

Drang nach Freiheit

Die Fotografin Dina Galal und ihre Freundin Nada Ebkoora, Journalistin bei der Zeitschrift Libya Mag, sind ab dem Nachmittag nur noch sehr ungern in der Innenstadt unterwegs. Sie haben Angst vor Belästigungen auf offener Straße. Unverschleierte Frauen wie sie sind nichts Besonderes in Bengasi, aber Gerüchte über Angriffe von Salafisten auf moderne Frauen machen die Runde. „Wir wissen eigentlich gar nicht, wer diese Leute sind, und die absolute Mehrheit der Leute in Bengasi will weiterhin einen moderaten Islam. Seit der Konzertabsage haben wir aber alle Angst vor ihnen“, sagt Dina.

Rapper MC Swat bringt in seinen Texten das zum Ausdruck, was die Revolutionsjugend weiterhin bewegt: den Drang nach Freiheit. Nach dem Fall der Gaddafi-Diktatur bedeutet dies vorsichtiger gesellschaftlicher Wandel und Chancengleichheit, keine Herrschaft von Stammesältesten.

Und wie vor einem Jahr wird dieser Kampf der libyschen Gesellschaft auf dem Tahrirplatz in Bengasi ausgefochten, vor dem Gerichtsgebäude. Hier singt MC Swat gegen Korruption, Vetternwirtschaft und gegen den Übergangsrat, der für ihn aus vielen alten Männern besteht, die schon unter Gaddafi wichtige Positionen innehatten: „60 Prozent der Libyer sind unter 30, und ich bin ihre Stimme, ich singe über das, was mich und meine Freunde bewegt. Wir wollen Politiker, die für das Land arbeiten, nicht für ihren eigenen Vorteil.“

TNC-Chef Mustafa Abdel Dschalil und die von ihm eingesetzte Übergangsregierung unter Abdel Rahim al-Keeb werden nicht nur von der Jugend Bengasis wegen Nichtstuns und mangelnder Transparenz heftig kritisiert. Vier Tage blockierten Revolutionäre aus Misurata die einzige Verbindungsstraße nach Tripolis und forderten eine bessere medizinische Behandlung der verwundeten Mitkämpfer.

Bis zu 20.000 Libyer wurden auf Regierungskosten zur medizinischen Behandlung nach Jordanien und in die Türkei geflogen, aber nur 800 von ihnen waren tatsächlich im Kampf verwundete Revolutionäre. „Durch schlechtes Management bei den dringlichen Problemen haben der TNC und die Interimsregierung sämtlichen Vertrauensvorschuss verspielt“, sagte Ibrahim Ali von Libya Transparency.

Die Führungslosigkeit in Libyen wird durch den Machtkampf zwischen Dschalil und al-Keeb verstärkt. In dem neuen Gesetz zum Verbot von religiösen Parteien und Parteispenden aus dem Ausland sehen viele konservative TNC-Mitglieder einen Angriff auf die Muslimbruderschaft, die in Libyen bei den Parlamentswahlen am 19. Juni an die Macht kommen will.

Nicht wenige sehen in den Salafisten ihre Handlanger. Die Muslimbrüder hatten sich erst nach langem Zögern der Revolution angeschlossen. Nun kommt es acht Wochen vor den Wahlen zu einem Showdown mit der Jugend, die die Werte ihrer Revolution in Gefahr sehen. „Wir wollen einen demokratischen Staat, ehrliche Politiker und einen gemäßigten Islam“, sagt MC Swat. „Ich kämpfe dafür mit meiner Musik, zur Not aber auch wieder mit der Waffe.“

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6 Kommentare

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  • HW
    Hannah Wettig

    Lieber Mirco Keilberth, als ich letzten Sommer in Bengasi war, waren Dina und Nada die einzigen beiden Frauen ohne Koptuch, die mir in zwei Wochen Recherche begegnet sind. Wenn jetzt Frauen ohne Kopftuch keine Besonderheit sind, bedeutet das, dass es in der Zwischenzeit einen enormen Zugewinn an persönlicher Freiheit gegeben haben muss, der jetzt offensichtlich leider bekämpft wird. Aber ersteres ist doch sehr positiv.

    Einer meiner Artikel darüber:

    http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13479645/Gaddafis-groesste-Gegner-sind-die-Frauen.html

  • M
    Marti

    In Libyen ging es von Anfang an um die Durchsetzung eines orthodox-fundamentalistischen Islams und um Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Stammesgruppen.

     

    "Junge Leute", die für Demokratie und Menschenrechte eintreten, mag es in Tunesien und Ägypten in relevanter Zahl gegeben haben, in Libyen sind sie vor allem eine von den westlichen Medien mühsam zusammengebastelte und dann aufgeblasene Gruppe.

     

    Man hat sich da einfach das hinerfunden, was man gerne gehabt hätte. Mit der Wirklichkeit hatte das von Anfang an wenig zu tun.

     

    Wer Arabisch spricht und aufmerksam verfolgt hat, was in Libyen während der "Revolution" so an Parolen skandiert wurde, hat nie an die Fata Morgana einer demokratischen Revolution, die sich für Menschenrechte im westlichen Sinne einsetzt, geglaubt.

  • JO
    Jürgen Orlok

    Ich nehme mal an, daß der Autor vor Ort war.

    Verschleierte Frauen:

    Die gab es vorher kaum. Und in Bengazi deutlich mehr als in Tripolis. Es geht auch vielmehr um das Kopftuch. Gegenüber der Zeit von Gaddafi gibt es erheblich mehr Kopftuchtägerinnen, alles freiwillig?

    Obwohl es kein Kopftuchverbot gab ?

    Das sich ein Rapper als Stimme Libyens aufspielt ist schon grotesk! Er nutzt den Politiker-Redestil.

     

    moderater Islam:

    Die Grüne Revolution brachte vor über 40 Jahren auch eine Revolution des Islam in Libyen. Auch ein wesentlicher Grund, warum das "Grüne Libyen" so viele Feinde hatte. Mal das "Grüne Buch" lesen.

    Doch merkwürdig, daß es nun nach der neokolonialen Eroberung plötzlich wieder auf Tagesordnung für eine westlich dekadent angehauchte Gruppe steht.

     

    demokratischen Staat:

    Das Modell "Grünes Libyen" ist der demokratischste Entwurf, der je umgesetzt wurde - direkte Demokratie. Wie erfolgreich die Umsetzung war, kann man gewiss diskutieren. Man braucht z.B. nur die Dauer einiger Straftaten mit den entsprechenden der USA zu vergleichen und wird feststellen, das die USA ein extrem brutales System sind. Libyen dagegen eher harmlos. Wie auch der persönliche MenschenrechtsIndex von Gaddafi deutlich besser ist als z.B. von Bush, Blair, ....

     

    medizinische Versorgung:

    Selbst libysche Quellen reden von ca. 45tsd MedizinTouristen allein in Jordanien.

    Es ist immer nur die Rede von verletzten "Revolutionären" , die doch nichts als Massenmörder sind.

    Die Berichte von UN, HRW, AI zu den Milizen aus Misrata schon vergessen ?

    Ich habe verschiedene Leute angeschrieben, doch einmal unter humanitärem Aspekt zu klären, wie die Versorgung von Zivilisten, "suspected" Loyalisten ist ? Keine humanitäre Sau interessiert es!!

     

    Diese Berichterstattung von kleine Impressionen ist auch eine Art Lüge, wenn sie als so ziemlich einzige in der taz erscheinen und der Alltag in Libyen sonst nicht auftaucht.

     

    Pervsers ist es doch, wenn angebliche Demokraten nach Führung, Führern suchen.

    Das die gesellschftliche Entwicklung bei uns schief läuft will natürlich keiner sehen. Z.B. werden schon seit einigen Jahren SprachförderMaßnahmen für Kinder beim Eintritt in Kitas notwendig und durchgeführt. Das gab es früher nicht . Aber nachdenken könnte ja an der "Selbstverwirklichung" nagen.

    Dummheit ist nun einmal grenzenlos, universell. So weh es auch tut. Von einer parasitären PolitikerKaste sich etwas zu erhoffen ... lächerlich. Seht euch doch die allgemeine Unzufriedenheit im Westen mit diesen Parasiten an.

    Showdown mit der Jugend

    Die weiß doch weder hier, noch in Libyen, was Werte sind, wenn sie alle nachplappern "die westlichen Werte". Mit diesen Werten wurden KolonialReiche, Große Kriege geführt. Die sind die Lügenplattform, die aktuell um die "humanitären" Kriege ergänzt wird.

    Denken erfordert mehr als den 1. Schritt !!!

    Denken ist Arbeit und dann noch unbezahlt.

  • A
    andreas

    Wenn also nach den Wahlen die Salafisten gewonnen haben(es reichen ein paar Sitze im Parlament) und in ihrem Sinne alle anderen Menschen die nicht so ticken wie sie unterdrücken, tja was dann liebe "arabische Revolution" ?

    Euch wird niemand wirklich niemand vor diesen Reliogionsfaschisten schützen !!!

    Aber der Weg war lange klar und wird in den anderen Ländern in denen diese Art der Muslime an Macht gewinnen(so auch in Deutschland) immer offener gegene Demokratie und für die Scharia mit der Waffe in der Hand kämpfen.

     

    Aber besonders die LINKE Europas schläft hier einen tiefen Schlaf...

  • HK
    Henner Kröper

    Da hat die TAZ (Unwissenheit schützt nicht vor Strafe) aber kräftig mitgehetzt um diese neue Gesellschaft zu schaffen.

  • BS
    Bernd Sigel

    > USA, NATO und EU haben Wert darauf gelegt, den Umbruch in Libyen per Krieg zu erreichen.Der vernünftigere Plan wurde von der Afrikanischen Union unterbreitet.Schon damals wurde davor gewarnt, dass Islamisten in Libyen Gewalt ausüben können.Heute ist Libyen ein Trümmerfeld.Gewalt ist an der Tagesordnung.Leider sind gemässigte und sogenannte Liberale in einer schwachen Position.Es wäre wünschenswert, wenn die Afrikanische Union diesmal den Reformprozess in Libyen tatkräftig unterstützen könnte.Den Künstlern, Musikern ujnd Poeten Libyens viel Glück!