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Archiv-Artikel

Kampf um die Kinder

Ausbleiben neuer Kita-Gutscheine stellt kleine Träger vor Existenzprobleme. Kita-Verein FamilienPower spricht von 25 Millionen Euro Unterfinanzierung

von KAIJA KUTTER

Egal ob in Arztpraxen oder Läden, überall in Altona hängen kleine Zettel: Kita sucht Kinder, möglichst mit 8 Stunden-Gutschein. Doch die sind rar. Laut Behörde sind in den ersten 50.000 Gutscheinen neben den Folgebewilligungen bislang nur Erstbewilligungen für den Hortbereich enthalten. Hinter allen Neuanträgen für Krippen und Elementarplätze steht noch ein Fragezeichen. Die 3900 Anträge der Berufstätigen würden „voraussichtlich“ positiv beschieden, die übrigen 3600 von nicht Berufstätigen erst mal gar nicht.

Allgemein unklar ist, wieso es gleich zu Beginn zu diesen massiven Finanznöten kommt. Matthias Taube vom Verein FamilienPower schätzt das Minus auf 25 Millionen Euro, mit dem Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) das neue System starte, weil er Zugeständnisse wie die Erhöhung der Pflegesätze nicht gegenfinanziert habe. Taube rechnet damit, dass binnen zwölf Monaten insgesamt gut 10.000 Plätze verloren gingen, „wenn dieser Senat sein Kita-System nicht stoppt oder massiv besser finanziert“.

Neben den sozialen Brennpunkten wie Steilshoop bahnt sich der Abbau auch in der bunten Trägerszene der Kleinstkitas an. „Bei uns kommen gleich neun Kinder in die Schule und somit in den Hort“, sagt eine Mutter, die im Vereinsvorstand einer Altonaer Kita tätig ist, in der Eltern die Arbeitgeberrolle haben. Doch noch sei unklar, ob für die Schulanfänger neue Kinder nachfolgten oder die Plätze für jüngere leer blieben. Die Folge: Zum 1. August sind 40 Pädagogenstunden nicht finanziert. Ein Anwalt habe geraten, den Erzieherinnen Änderungskündigungen auszusprechen und vorsorglich deren Arbeitszeit abzusenken: „Damit tun wir uns aber schwer. Das sind auch Frauen, die ihre Familien ernähren.“

Martin Sievers von der Initiative „Eltern für familiengerechte Betreuung“ hat eine Umfrage im Bezirk Altona gestartet und ein „regionales Gefälle“ ausgemacht: „In Othmarschen haben die Kitas relativ wenig Probleme, schwieriger wird es, je näher man an St. Pauli kommt.“ Eine Kita werde sich wahrscheinlich zum Jahresende auflösen, eine andere habe ihrem Koch gekündigt. Eine deutsch-türkische Kita muss ihr Konzept ändern, weil sie kaum noch türkische Kinder findet, die Gutscheine erhalten.

Das Elternbündnis, das gestern mit einem Kabarett auf dem Spritzenplatz auf die Absurditäten der Gutscheinvergabe aufmerksam machte, sammelt per online-Umfrage Erfahrungen von Eltern und Einrichtungen mit dem neuen System (www.kita-gutschein.de). Neben Elternklagen über ausbleibende, falsche oder zu kurz bemessene Gutscheine melden dort auch Kitas ihre Sorgen an. So verliert eine kirchliche Einrichtung ihre Eltern, weil sie statt bisher fünf nur noch vier Stunden anbieten darf.

Viele Eltern fragten, so eine der Rückmeldungen im Internet, nach Plätzen, ohne einen Gutschein zu haben. Und andere bekämen diesen nicht, weil der Arbeitgeber die Beschäftigung nur kurzfristig bestätigt. Und weiter: „Problem bei Eingewöhnung: wahrscheinlich kommen alle Kinder auf einmal, so dass eine vernünftige Eingewöhnung kaum machbar ist.“