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Kampf um Steueroase in der Industriewüste

■ Unternehmer streiten sich weiter um ein ostdeutsches Niedrigsteuergebiet

Bonn (adn) — „Graf, bleibe hart!“ Mit diesem beschwörenden Ruf mahnte der zum Jahresende scheidende Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, den FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff, standhaft an seinem Ziel festzuhalten: Mit einem Niedrigsteuergebiet Neue Länder will er westdeutschen Unternehmen Investitionen im sanierungsbedürftigen Osten Deutschlands schmackhaft machen. Doch die Standfestigkeit des Grafen wird schon heute oder am Mittwoch auf die entscheidende Probe gestellt werden, wenn die Sieger vom 2. Dezember über die Wirtschafts- und Finanzpolitik verhandeln.

Jedes zweite westdeutsche Unternehmen, so ermittelte der Deutsche Industrie- und Handelstag unlängst, will im kommenden Jahr in den Osten gehen. Die von Lambsdorff geforderte Einrichtung einer Steueroase mit deutlich niedrigeren Vermögens- und Gewerbekapitalsteuern könnte ihnen den Entschluß zu investieren erleichtern. „Der Aufschwung im ehemaligen DDR-Gebiet muß auf breiter Front kommen“, gibt der BDI-Präsident dem — noch — unnachgiebigen Grafen Rückendeckung. „Und das geht nur, wenn man nationalen und internationalen Investoren attraktive Investitionsbedingungen bietet.“

Doch die Forderungen des ob des Wahlerfolges vor Selbstbewußtsein strotzenden Parteichefs der Liberalen sind umstritten, die bisher in den Koalitionsverhandlungen demonstrativ zur Schau gestellte Harmonie der Partner scheint gefährdet. „Ein Niedrigsteuergebiet in den neuen Ländern, wie die FDP es sich vorstellt, kann es nicht geben“, stellte der finanzpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Michael Glos, die Haltung der Unionsparteien klar. Dieter Murmann, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, bezeichnete am Montag ein Niedrigsteuergebiet als das falsche Signal. Notwendig sei vielmehr eine gesamtdeutsche Reform der Unternehmenssteuern.

Die Argumente der Steueroasengegner: Mit der zwölfprozentigen Zulage für Investitionen in neue Anlagegüter seien bereits steuerliche Soforthilfen in Milliardenhöhe auf den Weg gebracht worden. Auch verleite die geforderte Begrenzung der Ertragssteuerbelastung auf 40 Prozent umsatzkräftige Unternehmen zu Umgehungsmanövern. Sie könnten ihre Gewinne aus der Produktion im Westen dadurch steigern, daß sie lediglich ihren Unternehmmenssitz in den Osten verlegen oder ihre Investitionen auf die Gründung von Briefkastenfirmen beschränken.

Auch Industrieverbände und die Wirtschaft selbst sind uneins über den zweckmäßigsten Weg, auf dem die wirtschaftlich ruinierte ehemalige DDR von einem reinen Absatzgebiet für Westwaren in eine, so der Kanzler, „blühende Landschaft“ verwandelt werden kann. Neben dem BDI befürworten auch der Bund der Selbständigen — Deutscher Gewerbeverband (BDS) und der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) Steuervergünstigungen. Von den Unternehmen wiederum favorisieren nur 18 Prozent niedrige Gewinnsteuern, ergab eine Umfrage der „Wirtschaftswoche“ unter 500 Unternehmen. Die Mehrheit plädierte für Zulagen und Zuschüsse als Investitionsförderung. Und so darf getrost bezweifelt werden, daß die Koalitionsverhandlungen an einem standhaften Grafen scheitern werden.

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