Kampf gegen die Staatsschulden: Griechenland spart, dass es kracht
30.000 Staatsbeamte sollen gehen, der Steuerfreibetrag wird gesenkt. Und der Finanzminister spricht von weiteren "schmerzhaften Maßnahmen". Dagegen wird demonstriert.
ATHEN dpa/afp | Der Schock sitzt tief. Im Kampf gegen die Staatsschulden streicht die griechische Regierung jetzt tausende Stellen im Staatsdienst. Die Rede ist von 30 000 Beamten, die gehen sollen. "Wer ist dran?", fragt sich praktisch jeder, der sich bisher mit dem Arbeitgeber Staat sicher wähnte.
Eine klare Antwort dazu gibt es nicht. "Wir wollen feststellen, wieviele Staatsbedienstete überflüssig sind", ist die rätselhafte Antwort des Regierungssprechers Ilias Mosialos. "Vertigo für 30 000 Staatsbedienstete, für die Rentner und die Angestellten", titelte die Athener Boulevardzeitung Ethnos am Donnerstag.
Die Liste der neuen Maßnahmen ist lang. Löhne im staatlichen Bereich sollen abermals um 20 Prozent gekürzt werden. Der Steuerfreibetrag wird zum zweiten Mal binnen wenigen Monaten von zunächst 12 000 auf 8 000 Euro auf jetzt auf 5 000 Euro gesenkt, wie der Regierungssprecher bekanntgab.
Zuvor hatte der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos seine Landsleute auf neue noch schlimmere Maßnahmen vorbereitet. "Und die werden schmerzhaft sein", sagte er im Parlament. Vorrangig sei aber, das Land zu retten. Die Lage sei "kritisch" und könnte "ausarten wie in Argentinien vor einigen Jahren", sagte Venizelos am Donnerstag nach einem Treffen mit dem griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias.
Unsicher, ob die Maßnahmen ausreichen
Das Schlimmste ist nach Wertung der Athener Presse aber: Es gilt als höchst unsicher, ob die neuesten Maßnahmen ausreichen, das Land aus der Krise zu führen. "Maßnahmen ohne Maß" kommentierte der wichtigste griechische Nachrichtensender Skai am Donnerstag. Die Wirtschaft werde weiterhin abgewürgt. Ein soziales Chaos könnte ausbrechen. Die Kommunistische Partei (KKE) ruft bereits zum allgemeinen Ungehorsam auf. Die größte Oppositionspartei, die Nea Dimokratia (ND) fordert Neuwahlen.
Das Verfahren zur Entlassung ist kompliziert. Demnach sollen 30 000 Beamte und andere Staatsbedienstete zunächst in eine sogenannte "Arbeitsreserve" geschickt werden. Dies bedeutet, dass sie für höchstens zwölf Monate 60 Prozent ihre Einkommens erhalten sollen. Anschließend soll eine unabhängige Behörde entscheiden, welche von ihnen endgültig entlassen werden sollen.
Die griechische Presse prophezeite, dies sei nur der Anfang. Bis 2015 sollen die Experten der EU, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen zentralbank (EZB), die "Troikaner" wie sie in Griechenland spöttisch genannt werden, die Entlassung von insgesamt 200 000 Staatsbediensteten gefordert haben.
"Platz des Jammerns": entlassene Staatsbedienstete
Die Griechen erinnern sich nun an den schwer aussprechlichen Namen eines Platzes im Zentrum Athens: "Plateia Klafthmonos" heisst der Platz und dies bedeutet, der "Platz des Jammerns". Bis 1911 versammelten sich dort entlassene Staatsbedienstete und klagten stundenlang vor dem dort stehenden Innenministerium, weil sie ihre Arbeit verloren hatten. Die Regierungen hatten bis 1911 die Gewohnheit, alle Beamten zu entlassen, um eigene Leute einzustellen. Bei einem Regierungswechsel wurden alle wieder entlassen.
Das änderte sich erst mit einer neuen Verfassung, in der es heißt: Beamte sind unkündbar. Die Regierung beruft sich jetzt auf einen kleinen Nebensatz in dem Artikel der Unkündbarkeit der Beamten. Da heißt es nämlich, der Beamte sei unkündbar, solange die Behörde existiert. Die Regierung plant demnach, zahlreiche Behörden zu schließen und damit den Weg für Beamtenentlassungen frei zu machen.
Gewerkschaften drohen das Land ins Chaos zu stürzen
Die Gewerkschaften gehen auf die Barrikaden und drohen, das Land ins Chaos zu stürzen. Bereits am Donnerstag traten die Bus- und Bahnfahrer in Athen in den Streik. Die Staatsbediensteten legten für drei Stunden die Arbeit nieder. Die Fluglotsen schlossen den Luftraum für drei Stunden. Auch die Taxifahrer und die Lehrer streikten. Am 5. und 19. Oktober sind landesweite Streiks angesagt. Auch in der regierenden Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (Pasok) herrscht Verunsicherung. Einige Abgeordnete sagen bereits in den Parteigremien offen, die Regierung habe nicht mehr das Mandat,das Land zu einem Protektorat der internationalen Geldgeber zu verwandeln.
Neben den Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr legten auch Taxifahrer und Fluglotsen ihre Arbeit nieder. Die Taxifahrer protestierten gegen Pläne der Regierung zu einer Liberalisierung ihrer Branche. Vor dem Haus von Regierungschef Giorgos Papandreou versammelten sich rund 150 Studenten, um gegen eine umstrittene Bildungsreform zu protestieren.
Regierungschef Giorgos Papandreou und seinem Finanzminister Evangelos Venizelos stehen wieder einmal stürmische Tage bevor. Am Dienstagabend war ein Durchbruch bei den telefonischen Verhandlungen der "Troika" gelungen. Die Expertengruppe der Geldgeber will nun nächste Woche nach Athen reisen. Ein positiver Bericht der "Troika" zur Budgetsanierung ist Vorbedingung für die Auszahlung der nächsten Kredittranche von acht Milliarden Euro aus dem alten Hilfsprogramm von 110 Milliarden Euro. Fließen die Milliarden nicht, droht Griechenland im Oktober die Pleite. Alles aber könne zunichte gemacht werden, wenn der Volkszorn ausbricht.
EU-Kommission unterstützt griechische Aldi-Mitarbeiter
Zumindest 642 entlassenen Aldi-Mitarbeitern in Griechenland will die Europäische Kommission bei der Rückkehr ins Berufsleben finanziell beistehen. Sie schlug dafür die Vergabe von 2,9 Millionen Euro aus dem EU-Globalisierungsfonds vor, wie die Behörde am Donnerstag in Brüssel mitteilte. Mit dem Geld sollen demnach Maßnahmen wie Berufsberatung, Umschulungen und Existenzgründungen gefördert werden.
"Griechische Arbeitnehmer gehen durch eine schwierige Phase und wir müssen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, ihnen zu helfen", erklärte Arbeits- und Sozialkommissar László Andor mit Blick auf die Wirtschaftskrise. Die von Athen beantragten Gelder aus dem Gemeinschaftshaushalt müssen nun vom Europaparlament und dem Ministerrat gebilligt werden. Von dem Fonds profitierten in der Vergangenheit auch viele Deutsche, zum Beispiel hunderte bei Nokia in Bochum entlassene Arbeiter.
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