Kampagne "Liebe deine Stadt": Auch du bist Köln!
Nach der Kunsthalle sollte in Köln die Oper abgerissen werden. Der Künstler Merlin Bauer fordert mehr Respekt vor der Nachkriegsmoderne.
Die griffige Parole ist unübersehbar und an einer Stelle angebracht, an der sie auf den ersten Blick nicht unpassender sein könnte. "Liebe deine Stadt" prunkt seit Mitte Mai in vier Meter hohen roten Buchstaben ausgerechnet über der Kölner Nord-Süd-Fahrt. Über jener sechsspurigen, 1972 fertiggestellten Straße also, die auf 2,4 Kilometer Länge die Innenstadt durchschneidet. Schon Heinrich Böll beklagte die Achse als "Wunde", die "praktisch ganze Viertel zu Friedhöfen gemacht hat". Noch heute gilt sie vielen als die Bausünde schlechthin: inmitten einer nach Kriegsende hastig wieder aufgebauten Stadt, die um fragwürdige Bauten nicht verlegen ist.
Dennoch wirkt der Slogan des vom Künstler Merlin Bauer erdachten Architekturprojekts "Liebe deine Stadt" erst einmal überflüssig. Schließlich gibt es keine andere deutsche Metropole, die für ihren schier unerschütterlichen Lokalpatriotismus dermaßen berühmt ist. Egal, wie viele Bau- und Kulturskandale die Kommune in den letzten fünf Jahren erschütterten: Die Kölner feiern stolz ihre Stadt, weil sich ihre Heimatliebe bevorzugt nicht am Faktischen, sondern in einem diffusen "Gefühl" festmacht.
"Das Flüchtige ist in Köln eigentlich das Dauerhafte", bilanziert Bauer dieses Phänomen, der seine 2005 gestartete Veranstaltungsreihe als Experiment in subversiver Kritik versteht. Soll sein Aufruf doch keineswegs auf jene kölsche Form des amor fati abzielen, die lokalpolitische Fehlgriffe gern wie Schicksalsschläge und weitgehend widerspruchslos hinnimmt. Dem 1974 geborenen Künstler ging es bei seinem Projekt stattdessen darum, anhand der oft als "hässlich" geschmähten Architektur der Nachkriegsmoderne einen anderen Blick auf Köln zu etablieren und die Stadtpolitik der letzten Jahre zu hinterfragen. Denn, so fürsorglich sich die Kommune auch beim Dom und neuen Prestigeobjekten wie dem Ausbau des Rheinauhafens zeigt, so gering ist doch ihre Wertschätzung für die Architektur der Nachkriegsjahrzehnte.
Davon zeugt nicht nur der Abriss des Josef-Haubrich-Forums 2002, der die Kunsthalle und den Kölnischen Kunstverein beherbergte. Auch die heftige Diskussion über einen Neubau der Oper bewies, wie wenig vielen Kölnern die eigene Stadtgeschichte vertraut ist und wie sehr mitunter die Devise der bewussten Vernachlässigung regiert. Obwohl das 1957 entstandene Hauptwerk Walter Riphahns als ein Schlüsselbau der Wirtschaftswunderzeit gilt, verschob man die Renovierung des Hauses über Jahrzehnte hinweg immer wieder, bis sich die Umbaukosten inzwischen auf geschätzte 258 Millionen Euro belaufen. Das war willkommener Anlass für Kölner Kulturpolitiker, für den Abriss der Oper zu plädieren. Und Elke Heidenreich forderte gar martialisch: "Weg mit dem hässlichen Koloss!"
Gegen derart unqualifizierte Tiraden setzte Bauer zweieinhalb Jahre lang die architekturgeschichtliche Aufklärung. Der Stipendiat der Kunststiftung NRW gewann eine ganze Riege namhafter Architekturkenner, die oft mit dem unvoreingenommenen Blick des Nichtkölners ausgewählte Bauwerke vor Publikum vorstellten. Der Wuppertaler Kunstprofessor Bazon Brock pries das Afri-Cola-Haus an der Turiner Straße. Der Aachener Kunsthistoriker Alexander Markschies würdigte das erste Kölner Parkhaus an der Cäcilienstraße. Und der Schweizer Stararchitekt Peter Zumthor nahm sich der viel kritisierten Oper an, der er trotz ihrer wuchtigen Größe Leichtigkeit attestierte. Tatsächlich stehen die funktionale Schlichtheit, die klaren, geometrischen Formen des monumentalen Riphahn-Baus symbolhaft auch für den neuen, weltoffenen Geist der Demokratie.
Auch die Abschlussveranstaltung von "Liebe deine Stadt" am Dienstagabend widmete sich einem Bau von Riphahn, dem "Amerika-Haus", einem flachen, schnörkellosen Kubus, der dem Credo pragmatischer Eleganz folgt. Nachdem in diesem Jahr allerdings alle amerikanischen Kulturinstitute in Deutschland geschlossen wurden, steht auch der Kölner Ableger neuerdings leer. Was den Grazer Kulturwissenschaftler Michael Zinganel dazu bewog, in seiner Laudatio assoziativ noch einmal den Wissenstransfer zwischen deutschen und amerikanischen Stadtsoziologen nachzuzeichnen: angefangen von Adorno bis hin zu Mike Davis. Das klang - ähnlich wie schon der Vortrag von Bazon Brock - stellenweise etwas arg abseitig und akademisch.
Kritiker warfen Bauers Projekt gleich zu Beginn vor, mit Sponsoren wie "Kölntourismus" und "Citymarketing" genau jene Kräfte eingebunden zu haben, die gerade nicht für eine visionäre Stadtkultur stehen. Unterm Strich kann man das Kunstexperiment aber als Erfolg werten. Mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Veranstaltung hat es sicherlich mit dazu beigetragen, dass zumindest einige Kölner ihre Umgebung heute ein bisschen anders betrachten. Ab 2010 soll der Umbau der Oper beginnen.
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