■ Kamagurkas Lebenshilfe: Hoffnung Schreibstau?
Den Schreibstau, den Horror vacui, die Panik vor dem weißen Blatt Papier – ach, wenn es das alles doch wirklich gäbe! Dann hätte Diedrich Diedrichsen niemals solch quälenden Unfug in die spex (10/95) hineinentsorgen müssen: „Glamour ist die idiosynkratische Persönlichkeit eines erratischen steinalten Rockers.“ Was das bedeutet, errat isch wohl nie, kam ich damals ins Grübeln, aber „Glamour“ war lt. D.D. und spex sogar noch mehr, nämlich „eine derridaid in sich selbst verschwindende, post-dekonstruktionistische Too- Pure-Band“. Und kein noch so gütiger Schreistau konnte den anschließenden Verzweiflungsruf verhindern: Hilfe, der Mann ist derridaid! Wenn nicht polaroid!
Doch doch, ein Schreibstau (kurz und tschechisch: Schřbšt) wäre manchmal schon hilfreich: Er hätte z.B. auch Hermann L. Gremliza daran hindern können, in seiner Konkret (6/96) über Hans Magnus Enzensberger u.a. zu behaupten: „Achtundsechzig hat ihn reich gemacht. Ohne Achtundsechzig hätte der Dichter, der schon damals seine literarische Zukunft hinter sich hatte, seine Brötchen in den Siebzigern vielleicht als Schlußredakteur bei jenem Heinrich-Bauer-Verlag verdienen müssen, der ihn, wegen Achtundsechzigerengagement, für ein paar Millionen eine Zeitgeist-Postille (,Transatlantic‘) gründen und in die Pleite führen ließ“.
Es ist schon etwas peinlich, daß ausgerechnet Gremliza, das grammatische Gewissen der Nation, den Namen der Zeitschrift TransAtlantik nicht richtig schreiben kann; verächtlich aber ist der neidische Ton, mit dem dieser Pedant bzw. Pedell jeden als Opportunisten beharkt, der in den letzten 20 Jahren wach genug war, sich hin und wieder für ein anderes Thema zu erwärmen als die Kanonisierung des Konkret-Herausgebers, der seiner Spiegel-Karriere, die er vor 25 Jahren ausschlug, immer hemmungsloser hinterherflennt. Mit Schreibstau wär das nicht passiert.
Und auch Walter Stützle, um noch einen passenden Dritten im Bunde zu nennen, hätte ein schöner Schřbšt davor bewahren können, sich am 2. Juni 1996 im Tagesspiegel, dessen stellvertretender Chefredakteur er ist, um sein bißchen Kopf und Kragen zu schreiben mit der Behauptung, die Kritik an prügelnder Polizei während des Berliner Bundeswehrgelöbnisses zeuge von „dümmlicher Buhmannslust“ – so als sei er, Stützle, endgültig zu Hui Buh, dem Schloßgespenst, mutiert.
Ganz anders hat sich der Zeichner Kamagurka dem Thema Schreibstau genähert; systematisch komisch hat er durchgespielt, wie schön gemein Impotenz sein kann: Ein Mann will sich äußern, kann aber nicht. Mein Lieblingswitz (neben ca. 80 anderen Lieblingswitzen im selben Buch): Ein Erpresser hat Schřbšt beim Ausschneiden der Buchstaben aus der Zeitung. Ganz unprätentiös und still kommt das daher und zündet doch. Und weil Kamagurka gleich 100 überraschende Variationen eines sehr speziellen Themas gelingen, tut er Großes: Er gibt dem traditionell in der Hör zu u.ä. Organen angesiedelten Sparten- und Themenwitz seinen Glanz zurück.
Ja, wenn die Viel- und Zuvielschreiber ihre Tätigkeit niederwürfen und statt dessen Kamagurkas Schreibstau-Heftchen kauften, dann hätte das Buch die große Verbreitung, die ich ihm aber auch so wünsche. Wiglaf Droste
Kamagurka, „Schreibstau“, 100 Cartoons, Edition Moderne, Zürich 1996, 16,80 DM
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