urdrüs wahre kolumne : Kaltblütig und von hinten
Drei Wochen war der Alte krank/jetzt trinkt er wieder, Gott sei Dank! Schon beim ersten Spaziergang in relativer Freiheit entdecke ich im Parzellengebiet unweit des Bremer Feldmarksees ein zum Verkauf stehendes Gartenidyll mit Laube, dessen Anbieterin auf ihrem Aushang melancholisch anmerkt: „Hier wurden meine Kinder groß und hier habe ich mit meinem verstorbenen Mann viele schöne Stunden verbracht. Wegen Umzug muss ich jetzt aufgeben. Wer ist in dieser Notlage so fair, den Preis von 4.000 Euro nicht herunter zu drücken?“ Ist das nun besonders raffiniert oder herzzerreißend unschuldig?
Nur selten gehe ich mit einer behördlichen Entscheidung so konform wie mit der Untersagung der Bremer Vision Parade durch Bausenator Ronald „Mike“ Neumeyer. Und mit gleicher Begeisterung begrüße ich die Erklärung der Veranstalter, ihren komatösen Werbefeldzug für Red Bull und substanzloses Rumtatata auf keinen Fall nach Gröpelingen zu verlagern: Wenn dieser urinös-ruinöse Partyschwindel selbst im trickbetrügerischen Berlin aufgeflogen ist, sollte damit auch in den Kleinstädten dieser Republik endlich Sense sein!
Mit unpassender Häme wurde in den Hamburger Medien der Fall eines Seniorenpärchens aus Duisburg behandelt, das in Altona mit 14 Kilo Haschisch erwischt und in U-Haft genommen wurde. Weiß man denn nicht um die zunehmende Altersarmut und die finanziellen Probleme einer vom Enkeltrick gebeutelten Generation? Und liegt im Handel mit illegalen Rauchwaren aus Holland nicht auch der rührende Versuch, sich innere und äußere Autonomie zu bewahren, ohne die Bewilligung für medizinische Fußpflege, Stützstrümpfe oder Gehhilfen durch demütigende Bittgänge bei Krankenkassen und Sozialämtern ertrotzen zu müssen? Die Interessen der Bank sind nun mal nicht die Interessen von Lina Braake – hoffentlich weiß das der Richter, der in dieser Sache urteilen muss!
Obwohl bereits deutsche Mediziner hinreichend an meiner Prostata herumgeschnippelt haben, überreicht mir bei einem kleinen Imbiss in Altona ein Halbwüchsiger ein Werbeblatt mit weitgehend arabischen Texten, in dem ich eine einzige Anzeige in deutscher Schrift entdecke: „Wir freuen uns auf Ihren Anruf!“, versichert mir „Ihr Ärtzte Team“ von Cerrah Med am Steindamm „für eine medizinisch einwandfreie Beschneidung“. Was um alles in der Welt hat mich zur Zielgruppe dieser Offerte gemacht?
Für uns Ältere ist das Boulespiel eine halbwegs akzeptable und nicht im vornherein unwürdige Form sportlicher Betätigung. Umso schärfer müssen Auswüchse gegeißelt werden wie sie etwa ein über 40-stündiges Kugelwerfen darstellt, das jetzt im niedersächsischen Bad Bevensen zwecks Eintrag in das Guinnessbuch der Rekorde durchgeführt wurde. Wenn dann auch noch Startgebühren gegen Rechts oder für die Hungernden dieser Welt erhoben werden, sind wir genau in der Piesepampe gelandet, die es zu vermeiden gilt!
Bei der Durchfahrt des Intercity am Bahnhof von Bad Kleinen erläutert der mutmaßliche Fähnleinführer einer Wandergruppe seinen Mitläufern: „Hier am Bahnhof von Bad Kleinen ist vor 12 Jahren oder so ein Polizist von der RAF ermordet worden, kaltblütig und von hinten.“ Ich habe gegen diese völlige Verdrehung der historischen Wahrheit nicht interveniert, denn die Mitglieder dieser Schar waren bei 35 Grad und mehr sämtlichst mit langen Kniestrümpfen, Bundhosen und Lodenjoppen ausstaffiert und dürften diesen Sommer ohnehin nicht überleben. Orakelt im luftigen HawaiihemdULRICH „Zugvogel“ REINEKING