: Kalkweißes Make-up, eiskalte Wut
■ Vor einer Woche starb im Amerikanischen Hospital in Neuilly im Alter von 81 Jahren Bette Davis
Gerhard Midding
Bette Davis und Hollywood, das war ein Kampf, der fast 60 Jahre dauerte. Sie gehörte zu den Unverwüstlichen der Filmmetropole, deren Karriere einen viel längeren Atem hatte als ihr irgend jemand zu Anfang hätte prophezeihen können. Noch mit 70 Jahren war sie der Star von Tod auf dem Nil, mit fast 80 Jahren trat sie zusammen mit einer anderen Legende, Lilian Gish, in The Whales of August auf. Obwohl sie seit 1983 wußte, daß sie krebskrank war, und einige Jahre später einen schweren Schlaganfall erlitt, war ihre Energie scheinbar ungebrochen. Sie war weiterhin auf Leinwand und Bildschirm präsent, besuchte noch wenige Wochen vor ihrem Tod Filmfestivals und Hommagen. Ein Vertrauter der letzten Lebensjahre, der Hollywoodkolumnist Robert Osborne, schilderte diese Zeit jedoch als eine, in der sie das Alter mittlerweile doppelt spürte: Sie fand niemanden mehr, mit dem sie kämpfen konnte. Denn wer kämpft schon gegen eine gebrechliche, schwerkranke ältere Dame?
Ruth Elizabeth Davis (den Vornamen Bette wählte sie auf Anraten eines Freundes ihrer Familie, ein Verehrer von Balzacs Cousine Bette) hat den Hollywoodstudios mehr Gefechte geliefert als irgendeine andere Schauspielerin. Die längste Zeit stand sie unter Vertrag bei dem „maskulinsten“ aller Studios, bei Warner Brothers. Nur James Cagney und Humphrey Bogart haben so viele Rollen abgelehnt wie sie (mehr als 20) und dafür riskiert, vom Studio für eine Weile auf Eis gelegt zu werden. Für Jack Warner war sie zwar der Inbegriff eines wirklichen Stars, und er nannte sie auch nicht ohne Bewunderung „eine explosive kleine Schnalle mit einer kräftigen Linken“, er scheute sich aber andererseits auch nicht, sie wegen der geringsten Vertragsbrüche zu verklagen. Ihr unstetes Temperament - von manchen ihrer Regisseure und Kollegen wurde sie als kooperativ geschildert, von anderen als überempfindlich und herrschsüchtig, von vielen als alles zugleich - machte sie nicht unbedingt beliebt. King Vidor, der ihren letzten Vertragsfilm für die Warners, Beyond the Forest, inszenierte, erinnert sich, daß am letzten Drehtag niemand kam, um sie zu verabschieden.
Bette Davis war eine Herausforderung an die Vorurteile der Besetzungsbüros und des Publikums. Unmöglich, daß jemand, der so wenig den konventionellen Schönheitsbegriffen entsprach, zu einem Star wurde! Die Davis hat ihr Publikum immer spüren lassen (und die Besucher ihres Grabes werden das auf der Inschrift lesen können), daß ihr nichts zugefallen ist. In jedem Film schien sie zu demonstrieren: Ich weiß, ich bin keine Schönheit, aber seht her, was für ein Profi ich bin!
Carl Laemmle jr., ihr erster Hollywoodboß, der sie vom Broadway holte (ihr Bühnendebüt hatte sie 1929 unter der Regie von George Cukor gegeben), attestierte ihr gerade soviel Sex-Appeal wie dem baumlangen, ungeschlachten Nebendarsteller Slim Summerville. Tatsächlich war ihr Sex -Appeal sehr schwer einzuordnen, er wirkte neurotisch und entsprach gar nicht der „sympathischen“ Spielart, die es zuließ, daß die Heldin am Ende in die Arme des Helden sinkt.
Sie spielte in gut 20 Filmen, bis sie bekannt wurde. Nach ihrem Erfolg als hartgesottene Nachtklubtänzerin in Marked Woman (1937) glaubte das Studio, einen weiblichen James Cagney entdeckt zu haben. Das weibliche Publikum war dankbar dafür, auf der Leinwand endlich einmal eine Frau zu sehen, die ohne Glamour sein durfte und sich ungeschminkt zu dem schäbigen Charakter bekennen konnte, den sie spielte. Die Davis konnte hysterische, vulgäre, eigensinnige, halsstarrige, anmaßende oder habgierige Frauen verkörpern, ohne die Sympathie des Publikums zu verlieren. (Sie, die trotz Einmischung des Studios eine sehr starke Kontrolle über den Verlauf ihrer Karriere ausübte, wußte freilich auch, wann es an der Zeit war, einmal eine liebenswürdige Rolle zu spielen.) Als einem der wenigen weiblichen Stars gelang es ihr auch, ihr Altern für ihre Karriere zu nutzen. Ohne Selbstverleugnung, mit viel Mut zur Selbstkarikatur spielte sie nach Was geschah wirklich mit Baby Jane monströse, vulgäre alte Vetteln.
Ihr bester Regisseur war William Wyler. Sie bildeten das vielleicht interessanteste Regisseur-Star-Team in der Geschichte Hollywoods, deren Zusammenarbeit keine offensichtlich erotische Komponente hatte. Wyler inszenierte ihre gemeinsamen Filme „mit“ und „gegen“ die Schauspielerin. In Jezebel, für den sie ihren zweiten Oscar bekam, läßt er die Kamera nervös hin- und herfahren, um mit ihrer Sprunghaftigkeit Schritt zu halten. Später, in The Letter und vor allem in The little Foxes wählt er statischere Einstellungen, deren Bildraum nichtsdestoweniger von der fiebrigen Präsenz der Davis dominiert wird. Ihrer beider Starrköpfigkeit war legendär, sie nannte ihn - und das ist als Kompliment zu verstehen - „eine männliche Bette Davis“: noch Jahrzehnte nach den Dreharbeiten zu The Letter ließen beide in Interviews den alten Streit über die Interpretation eines Dialogsatzes aus diesem Film wieder aufleben und bestanden jeder für sich darauf, damals recht gehabt zu haben. Gerade die Filme, die sie mit Wyler drehte, schlugen Kapital aus der Dualität der Persona Davis. Es war ihr einzigartiges Talent, die Spannung zwischen inneren und äußeren Zuständen auszudrücken. Sie strahlte eine ruhelose Energie aus. Das heftige Ausatmen des Zigarettenrauchs, die hochgezogenen Augenbrauen und fahrigen Bewegungen verrieten spätestens nach Now Voyager (eines ihrer schönsten Melodramen über eine „unmoralische“, nach Unabhängigkeit strebende Frau) eine Nervosität, die sie ständig kontrollieren muß. Viele der Frauen, die sie spielte, sind Schauspielerinnen. Nicht nur professionelle, wie Margo Channing in Alles über Eva, obwohl die Tatsache, daß sie eine Schauspielerin verkörpert, diesen besonderen Zug erst recht deutlich zum Vorschein bringt. Die Davis kalkuliert jeden Effekt, den ein von ihr ausgedrücktes Gefühl erzielt. Den Zuschauer, nicht aber ihr Gegenüber auf der Leinwand, weiht sie ein. Die Abwesenheit ihres Blicks, die allzu emphatische Betonung von etwas Unwichtigem, die allzu beiläufige Betonung von etwas Wichtigem, eine leichte Anspannung ihrer Gesichtsmuskeln legen ihre innere Unruhe bloß. Abrupte Blicke und Gesten zerstören wie ein scharfer Schnitt die Vorspiegelung falscher Gefühle.
Der Eindruck einer Maske, die sie ständig zu tragen scheint, wird oft bestärkt durch das Make-up. Von Fall zu Fall bestand sie darauf, sich nach eigenen Vorstellungen schminken zu lassen. Kalkweißes Make-up verbindet sich mit eiskalter Wut.
Ihr grotesk geschminktes Gesicht in Was geschah wirklich mit Baby Jane? ließ sie vor der eigenen Courage erschrecken. Regisseur Robert Aldrich erinnerte sich an ihr verzweifeltes Schluchzen, als sie die ersten Muster sah: „Sehe ich wirklich so schrecklich aus?“
Das Verhältnis der Davisschen Leinwandfiguren zum anderen Geschlecht ist geprägt von Skepsis und Sarkasmus. (Ihre männlichen Partner, allen voran Errol Flynn, beklagten regelmäßig ihre Hochnäsigkeit und ihre Versuche, den Partnern die Szene zu stehlen.) In den zynischen und tempogeladenen frühen Warner-Bros-Filmen wurde sie vornehmlich als Vamp besetzt. Dangerous, der Titel ihres ersten Oscarfilms, signalisiert: an dieser Frau ist etwas Unheilbringendes, sie zieht Männer an, um sie zu zerstören. (Heil Dir, oh Kali! d.S.) Liebe im konventionellen Sinne schienen diese Frauen nicht zu empfinden, statt dessen sind sie besessen von Macht und dem Wunsch, die Männer in ihre Neurosen zu verstricken. The private Life of Elisabeth and Essex ist dafür ein spätes Beispiel. Die unerwiderte Liebe der häßlichen Queen Elisabeth zu Essex (gespielt vom männlichen Sexsymbol des Studios, Errol Flynn) endet mit dessen Hinrichtung. (Heil! d.S.)
Sie selbst hat immer wieder einen hohen Grad an Identifikation mit ihren Rollen bekannt. Zum Scheitern einer ihrer vier Ehen erklärte sie: „Ich bin wie Julie in Jezebel. Ich muß diejenige sein, die alles unter Kontrolle hat. Sobald ein Mann das zuläßt, verliere ich jeden Respekt vor ihm.“
Die Verletzbarkeit hinter dieser Fassade zu zeigen, gestatteten ihr die Hollywoodkonventionen nur selten. Dies mag der Grund sein, weshalb Dark Victory lange Zeit ihr Lieblingsfilm und der ihres Publikums war. Unter der Regie von Edmund Goulding, einer der ungewürdigten Schauspielerinnenregisseure des alten Kinos, spielte sie eine Society-Dame, die die Erkenntnis, unheilbar krebskrank zu sein, zu tieferen Gefühlen bekehrt.
Die Bette Davis, die ihr Publikum jedoch wirklich liebte, ließ sich nicht domestizieren, auch durch die Ehe in Alles über Eva nicht. Nach einem Rollenwunsch gefragt, antwortet sie dort: „Give me a nice, normal woman who just shoots her husband.“
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