piwik no script img

■ Kaindl-Prozeß: Alle Häftlinge freiVor die Wand gelaufen

Die Staatsanwältin plädiert, danach werden alle Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen. Was rechtsstaatlich geboten war und von Richterin Eschenhagen beherzt und mit Augenmaß umgesetzt wurde, macht die Strafverfolger endgültig lächerlich. Sie haben sich im Dickicht ihrer eigenen ideologischen Konstrukte verrannt und phantasierten sich zu Verteidigern der wehrhaften Demokratie gegen mordlustige Autonome. Tatsächlich aber haben sie mit einer strafrechtlich völlig überzogenen Mordanklage, deren Scheitern schon vor Prozeßbeginn absehbar war, erst dafür gesorgt, daß „Antifaschisten“ von einem politischen Schauprozeß einer auf dem rechten Auge blinden Justiz sprechen konnten. In diese Gefechtstrategie, welche die Liebhaber der einfachen Weltbilder auf beiden Seiten so gerne erlebt hätten, hat sich Richterin Eschenhagen nicht einbinden lassen. Unverdienterweise dürfen die Staatsschutzfahnder wieder abtauchen, deren Aufklärungsarbeit dieses Wort nicht verdient: Ihre Vernehmungen und Recherchen sind unverwertbar, ihre Indizien mehr konstruiert als belegt.

Die Tat aber macht das nicht ungeschehen, und unschuldig sind die Angeklagten damit noch lange nicht, auch wenn der Haupttäter nicht mit auf der Anklagebank sitzt. Über die Schlampigkeit und den blinden Eifer der Ermittler ist nahezu vergessen worden, daß weder Wachsamkeit noch Widerstand gegen Rechtsradikale den Tod eines Menschen rechtfertigen. Ein besonnen geführtes Verfahren hätte diese Debatte über Formen und Grenzen des Widerstands befördern können. Die Hardliner der Staatsanwaltschaft sind zwar mit ihrer abenteuerlichen Anklage gescheitert. Die notwendige Debatte aber haben sie erfolgreich behindert. Gerd Nowakowski

Siehe auch Beitrag Seite 4

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen