piwik no script img

Käßmann in MünchenDie dem Neid standhält

Da wäre selbst Michael Jackson neidisch geworden. Margot Käßmann stand bei ihrer Buchvorstellung im Blitzlichtgewitter und wurde vom Publikum mit Blicken gekost, mit viel Applaus gewärmt.

Die ZuhörerInnen glauben ohnehin, dass Käßmann nicht strauchelte, sondern zum Straucheln gebracht wurde. Bild: apn

MÜNCHEN taz | Offenbar kann sie das Publikum so berauschen wie einst. Mittwoch, Ortstermin, geladen hatte die Münchner Dependance der Buchhandlungskette Hugendubel - und als Gast wurde sie aufs Schild gehoben. Eine Frau, die wie keine andere den deutschen Protestantismus zu repräsentieren hatte - und dann, weil sie mit allzu viel Alkohol im Blut Auto fuhr, ihre Ämter niederlegte: Margot Käßmann. Aber das Publikum hat ihr längst verziehen.

So stellte sie ihr neues Buch vor, "Das große Du" - und die Buchhandlung musste sogar, um dem Ansturm auf diese Lesung überhaupt bewältigen zu können, die Rolltreppen ausschalten, damit es kein Chaos gibt. Im dritten Stock schließlich fand die Veranstaltung statt, mehr eine Predigt ohne Kirchenkanzel, aber umstrahlt von einem Blitzlichtgewitter. Margot Käßmann, die Theologin, hätte selbst Michael Jackson neidisch machen können - so sehr wurde sie von den Frauen und Männern gehuldigt, mit Blicken gekost, mit Applaus gewärmt und mit guten Worten bedacht, als bräuchten alle gemeinsam eine Tröstung.

Ja, sie sieht mitgenommen aus. Eine Frau gibt zu Protokoll, die Last der vergangenen Monate hätten Spuren auf ihrem Antlitz hinterlassen, wobei ihre Freundin ergänzt, diese würden sie allerdings noch schöner, noch glaubwürdiger, noch warmherziger aussehen lassen. Käßmann erzählt, was sie in den vergangenen Monaten erlebt hat. Von der Zeit, als sie noch Bischöfin war und beim Tod des Fußballtorhüters Robert Enke nur das Beten des Vater Unser geholfen hätte - dass das Beten überhaupt wieder wichtig werden könne, gerade im Angesicht einer Unfassbarkeit, wie der Tod eine ist.

Keine Frage: Margot Käßmann hat mit ihrem Auftritt, unheiliger gesprochen: mit der Präsentation ihres neuen Buches ihre Anwartschaft auf den Titel der Popkönigin des 2. Ökumenischen Kirchentags bekräftigt, hätte sie dies im Sinne. Manche Protestanten mögen auf sie neidisch sein, immer schon mögen sie dies gewesen sein - auf die Frau, die irgendwie die Aura der Heiligen umweht, schon einst als Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, dann als Bischöfin, schließlich als erste Stichwortgeberin des Protestantismus im Lande Martin Luthers.

Dann ihr Fall, die Autofahrt, der Verzicht auf ihre Ämter - der, so raunt es das Publikum, doch sie gerade erst authentisch mache. Und die so den moralischen Unterschied zu einem wie Bischof Walter Mixa erst so recht deutlich gemacht habe.

Hier in München, beim 2. Ökumenischen Kirchentag, wird sie der Star sein - und das kann sie nicht nicht mit eingerechnet haben. Ohne Amt wird sie die Madonna der religiösen Laienbewegung werden, elf Veranstaltungen wird sie beehren während der Tage in der bayerischen Hauptstadt. Margot Käßmann guckt, wohl gezeichnet, froh. Sie ist immer noch die wichtigste Hoffnungsträgerin eines erschlafften Protestantismus - und das Publikum will sie so sehen.

Ihre gut 200 ZuhörerInnen in München glauben ohnehin, dass sie nicht strauchelte, sondern zum Straucheln gebracht wurde. Eine Frau sagt am Rande der Lesung, Schuld habe gewiss der Mann, der während der alkolisierten Autofahrt neben ihr gesessen habe; überhaupt sei sie für Allzumenschliches gestraft worden - eine echte Christin, die nicht bis zum Schluss an Pöstchen klebte. Margot Käßmann - der Kirchentag wird in ihr sein Antlitz wiedererkennen wollen.

AutorInnen: Margerete Stokowski/Ines Pohl/Emilia Smechowski/Jan Feddersen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!