: Käse auf dem Küchenboden
Warum ist der Erdal-Frosch rot, wieso hat er eine Krone, und was macht er überhaupt auf Schuhcremetuben?
Die feine Tubencreme mit echtem Bienenwachs verbreitete süßlich-würzigen Duft. Eigentlich ein zu guter Geruch für meine Schuhe. Eher etwas für Nachtisch. Aber klebrige Bienenwachscreme war wohl das Einzige, was das brüchige Leder noch zusammenhielt. Betört von den Dämpfen schaute ich auf die Tube zum roten Frosch mit der Krone. „Wichser“, quakte er. Er rollte seine roten Augen herum. „Scheißwohnung. Armselig. Und diese Schuhe!“
Der Frosch rückte seine rote Krone zurecht und beschielte das Leder, auf dem ich die feine Tubencreme hatte verstreichen wollen. „Warum soll diese feine Tubencreme denn da drauf?“ Beschämt erklärte ich ihm mein Bedürfnis nach zumindest tragbar aussehenden Schuhen. „Ihr erbärmlichen Kleinbürger! Seit Jahrzehnten sehe ich euch stinkende Kähne in kläglichen Buden glänzend reiben. Kauf dir schöne Schuhe oder lauf in hässlichen rum, alles andere ist jämmerlich“, fuhr er mich an. Er blähte wütend seinen Hals auf, hüpfte auf und ab, sprang in die Küche und begann die monatealten Kekskrümel aufzulecken. Ich gab ihm einen frischen Orangenschokokeks, was ihn etwas besänftigte.
Rot und schmatzend saß er im Spülbecken. Ein guter Zeitpunkt, ihn zu fragen, was jeden Schuhcremebenutzer beschäftigt: „Warum bist du rot, wieso die Krone, und was machst du auf der Schuhcreme?“ Der Frosch ließ einen Keksrülpser genüsslich in ein Quaken übergehen und erzählte mir alles. Rote Frösche lebten in einem kleinen Sultanat im Nahen Osten. Angelockt von einer riesigen Oase strömten die von der Sonne geröteten Wüstenfrösche des ganzen Kontinents dorthin. Was sich sehr gut traf, weil der Sultan dort seine roten Hauspuschen über alles liebte – allein die rechte Pflege fehlte. Die langen Zungen der roten Wüstenfrösche schafften Abhilfe, der Sultan schenkte ihnen Adelstitel, Kronen, einen Palast an der Oase, und lange lebten sie glücklich.
„Und dann?“, fragte ich. Der Frosch zeigte mit seiner Zunge zur Kekspackung. Ich gab ihm einen. Er pustete seine Backen auf und quakte: „Und dann kamen die Grünfrösche, diese jämmerlichen Neider aus der Gosse!“ Sie schenkten dem Sultan Sportschuhe, um dem süßen Leben ihrer roten Artgenossen ein Ende zu setzen. Der Sultan rannte umher und freute sich ob seiner Sportschuhe. „Die kann man ja zuschnüren“, rief er immer wieder. Die roten Wüstenfrösche waren ihren Job und den Palast los. „Und seitdem darf ich für mein Geld auf diesen beschissenen Schuhputztuben hocken!“, brüllte der Frosch in meiner Spüle.
Die Metallwände bebten. Ein Tropfen löste sich vom Wasserhahn. Dann zischte der Wüstenfrosch zu mir: „Aber ich habe einen Plan, hehehe, wir beide können ins Geschäft kommen. Viel Geld wartet auf uns, genug für Millionen neuer Schuhe für dich.“ Er lächelte verschwörerisch, wie nur Frösche es können, und aß noch einen Keks. Sein Plan war von betörender Einfachheit. Der Sultan finanzierte seine Sportschuhorgien über eine Steuer auf das Lieblingsgericht seiner Untertanen – geriebenen Käse. Der galt als schick und lecker, weil es so diffizil war, ihn in der Wüstenhitze vorm Schmelzen zu bewahren. Die einzige Käsereiberei des Landes betrieb der Sultan, so war zusätzlicher Profit sicher. Das einfache Volk konnte sich gerade einmal im Jahr, zum Feiertag des Sultangeburtstags, ein Mahl mit geriebenem Gouda, extra fein gehobeltem Emmentaler und flockigem Harzer leisten. „Und hier kommen wir ins Spiel“, gluckste der Frosch.
Ich wischte mir Kekskrümel aus dem Gesicht und begann Käse zu reiben. Über die alten Kontakte des roten Wüstenfroschs würden wir Käse ins Sultanat schmuggeln. Und hundertfachen Gewinn machen. Ich hobelte Käseberge, während der Frosch meine Kekse aß. Spät in der Nacht – der Frosch hatte sich schon Wasser in die Spüle gelassen und schnarchte – fiel ich in einen tiefen Schlaf. Ein Klingeln weckte mich. Am Telefon war der Nachbar von unten. Es tropfe von oben in seine Wohnung und stinke. Nach Käse. Ich schaute in die Küche zum Frosch. Der Käse hatte zu nah an der Heizung gelegen. Jetzt war Fondue auf dem Küchenboden. Ich weckte den Frosch und schimpfte auf seine dumme Idee.
Der rote Wüstenfrosch blähte sich auf, quakte und ließ die Zunge durch den Raum peitschen. Er riss den Deckel von meiner Keksdose, umfasste sie und schüttete sich den Inhalt den Hals hinab. Das Quaken klang trockener und trockener, der Körper schwoll röter und röter, und dann platzte der Wüstenfrosch. Die Küche riecht heute noch nach alten Keksen, Käse und Schuhcreme.
KONRAD LISCHKA