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Kabinett pflegt den Pflegestreit

■ Regierungsinterner Streit um Pflegeversicherung geht weiter / DAG kündigt Verfassungsbeschwerde an

Bonn (dpa/AFP/taz) – Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) hat gestern mit einem Bericht über verfassungsrechtliche Aspekte der Pflegeversicherung den regierungsinternen Streit nicht beilegen können. Die weiter offenen Fragen würden in den kommenden Wochen von den beteiligten Ministerien erörtert, teilte ein Sprecher des Arbeitsministeriums nach einer Kabinettssitzung mit. Nach einer Klärung sollten sie als „Formulierungshilfen“ in den Gesetzgebungsprozeß eingebracht werden. Welche Streitfragen nach dem Bericht Blüms geklärt worden sind, blieb ebenfalls offen.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Innen- und dem Justizministerium beziehen sich auf die Verpflichtung der freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse Versicherten zur Teilnahme an der Pflegeversicherung. Damit werde deren Wahlmöglichkeit eingeschränkt. Fragwürdig ist auch, ob privat Krankenversicherte per Gesetz dazu verpflichtet werden können, sich privat gegen das Pflegerisiko zu versichern. Das Justizministerium hält auch die Ausdehnung der Karenztagsregelung auf Bundesbeamte für problematisch. Verfassungsrechtlich umstritten ist darüber hinaus, ob der Staat mit der Karenztagsregelung in die Tarifverträge von Arbeitgebern und Gewerkschaften eingreifen darf. Das Blüm-Modell sieht vor, daß zur Finanzierung der Pflegeversicherung im Krankheitsfall an bis zu sechs Tagen pro Jahr kein Lohn gezahlt wird.

In einem Gutachten, das der DGB in Auftrag gegeben hatte, kam der Hamburger Professor Ulrich Zachert im Juli zu dem Ergebnis, daß die Karenztage verfassungswidrig sind. – Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft (DAG) will mit einer Verfassungsklage die Einführung von unbezahlten Karenztagen im Krankheitsfall verhindern. Dies beschloß gestern der DAG-Bundesvorstand. Die Gewerkschaften sehen in den Karenztagen einen Verstoß gegen die Tarifautonomie.

Der Kabinettsbeschluß belege in erschreckender Weise „die in Bonn eingetretene Verwilderung politischer Sitten“, kritisierte DAG-Vorstandsmitglied Freitag. Früher hätten solche gravierenden Verfassungsbedenken erst ausgeräumt werden müssen, bevor ein Gesetzentwurf durch die Bundesregierung beschlossen worden wäre. Mittlerweile handele die Bundesregierung nach dem Prinzip „Augen zu und durch“.

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