Kabarettfigur Erwin Pelzig: Ein Unterfranke in der Tagesklinik
Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig wird zweiter Gastgeber der erfolgreichsten deutschen Kabarettsendung, "Neues aus der Anstalt" - ein Glücksgriff (Dienstag, 22.15 Uhr, ZDF).
Um sich in den schlagfertigsten Interviewer und Politik-Analytiker des deutschen Fernsehens zu verwandeln, braucht Frank-Markus Barwasser (50) keinen virtuellen Claus-Kleber-Erklärraum, keinen Frank-Plasberg-Touchscreen, nur ein rot-weiß kariertes Hemd, eine Herrenhandtasche und einen Cordhut.
Dann steht Erwin Pelzig auf der Bühne - der ewig neugierige, respektlos die Welt hinterfragende fränkische Kleinbürger. In seiner satirischen Talkshow "Aufgemerkt - Pelzig unterhält sich" hat Pelzig im BR und im Nachtprogramm des Ersten zehn Jahre lang bei einem Glas Bowle Politikern und Prominenten rotzfrech Antworten entlockt, die sie einem seriös daherkommenden Journalisten nie geben würden. Um CSU-Chef Horst Seehofer sagen zu lassen, dass er die ersten Monate seiner Amtszeit schon fast wieder vor dem Aus stand, brauchte Pelzig nur eine einzige Frage.
"Er ist hemmungsloser und unerschrockener als ich", meint Barwasser. "Und er hat etwas Anrührendes, wenn er will." 17 Jahre nach der Geburt der Figur betritt Pelzig heute Abend die größte Bühne seiner bisherigen Karriere: als zweiter Gastgeber der aktuell erfolgreichsten deutschen Kabarettsendung, "Neues aus der Anstalt".
Zum Pressetermin wenige Wochen vor der Premiere kommt Frank-Markus Barwasser nicht als Erwin Pelzig, sondern als Frank-Markus Barwasser. Kein Cordhut, keine Handtasche, er trägt Kapuzenpulli, Brille und spricht, ohne jede fränkische Färbung in der Stimme, geschliffenes Hochdeutsch. Neben ihm sitzt Urban Priol, der alte und neue Gastgeber Nummer eins der "Anstalt". Priol trägt ein krachig bedrucktes Hemd und wirr zerzauste Haare. Er ist aufgedreht, als stünde er auf der Bühne. Barwasser wirkt beinahe schüchtern gegen sein Bühnen-Alter-Ego. Er sagt: "Es ist gar nicht so leicht, dem Georg Schramm zu folgen."
Georg Schramm hat "Neues aus der Anstalt" einen unverwechselbaren Ton gegeben. Als das Satire-Flaggschiff der ARD, der "Scheibenwischer" unter Mathias Richling anfing, immer mehr Richtung fahriger Albernheit zu treiben, setzte Schramm im ZDF auf harte Relevanz. Als Rentner Lothar Dombrowski empörte er sich über die Schuld der Bundesregierung am Absturz der Mittelschicht, als Oberstleutnant Sanftleben dozierte er im sarkastischen Bundeswehr-Ton über Gefallenenzahlen in Afghanistan. Nun möchte sich Schramm wieder allein seinem Bühnenprogramm widmen. Zur Abschiedssendung holte er der "Anstalt" die Rekordquote von 3,51 Millionen Zuschauern.
Schramm hat mitteilen lassen, dass er seinen Nachfolger sehr schätze: "Ein Glücksgriff für die Anstalt", so Schramm. "Herr Priol wird sich noch wundern." Wie unterschiedlich die beiden aktuellen Gastgeber der Sendung ihr Handwerk verstehen, wird schon an den im Presseheft abgedruckten Lebensläufen deutlich. Bei Priol, dem Mann für die schnellen Gags, ist schon die Geburt ein witzelndes Ereignis: "1961: Der Grundstein für das spätere Wirken fällt polternd in die Wiege." Im Lebenslauf von Frank-Markus Barwasser stehen dagegen so nüchterne Dinge wie "Zeitungsvolontariat bei der Würzburger Main-Post" und "Tätigkeit als Radioreporter für den Bayerischen Rundfunk".
Barwasser ist gelernter Journalist und arbeitet noch immer wie einer. Er konzentriere sich auf der Bühne sehr genau darauf, dass die Fakten stimmen, sagt Barwasser. "Ich halte es auch aus, dass mal eine Minute nicht gelacht wird, wenn ich etwas erkläre." In einem der genialsten Momente seiner BR-Fernsehshow stand Pelzig vor einem Flipchart mit den Fotos mächtiger DAX-Vorstandschefs und erklärte mit einem Filzstift, wie eng alle untereinander vernetzt sind. Fünf lange Minuten, ohne Gags, ohne Lacher, ohne gespielte Empörung, nur gemalte Pfeile und die bittere Wahrheit, wie verklüngelt die deutsche Wirtschaft wirklich ist. Barwasser verspricht, er werde sich auf so sperrige Themen stürzen wie den Lobbyeinfluss auf die Politik und die falschen Fakten in der ewigen Integrationsdebatte.
Und ab dem nächsten Februar müssen sich auch die Prominenten wieder vor Erwin Pelzig fürchten. Dann spendiert ihm sein neuer Haussender eine eigene Talkshow.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen