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KZ und Existensminimum

■ Hunger

Letztes Jahr schickte die Welt Mehl und Essenspakete nach Sarajevo, um uns das Überleben zu ermöglichen, bis eine militärische oder politische Lösung gefunden werden konnte. Nun zeigt sie uns ein anderes Gesicht. Das der zynischen Verachtung für Hunderttausende von Menschen, die sich selbst überlassen werden. Wir verfügen noch nicht einmal über die seelische Nahrung der Hoffnung, die uns stärken könnte, während wir körperlich geschwächt sind.

1992 war von einem Wechsel zwischen Ankunft und Streichung der humanitären Hilfe geprägt. Sie kam unregelmäßig. Jeder lokale Desperado konnte die Lieferungen in einem geeigneten Moment zwischen Abfahrt und Ankunft stoppen oder stehlen. Nie wurde uns die ursprüngliche Menge auf den Hilfskonvois mitgeteilt, so daß wir nie wissen werden, wieviel unterwegs gestohlen wurde.

Die Essensrationen, die zur Zeit verteilt werden, sind auf ein Maß gefallen, das irgendwo zwischen Konzentrationslagern und dem Existenzminimum schwankt. Die einzigen unzweifelhaften Effekte der humanitären Hilfe sind einerseits das Gefühl der Demütigung, Almosen annehmen zu müssen, und der betäubende Effekt dieser Almosen.

Jetzt erreichen uns nicht einmal diese Almosen. Vielleicht werden nie mehr welche ankommen. Reaktionen, wie etwa der Hungerstreik der städtischen Angestellten, sind von ihrem Resultat her wichtig. Zu Beginn bescheinigten sie dem bosnischen Präsidenten seine erneute Mäßigung nach der Episode, als die humanitäre Hilfe zum Zeichen der Solidarität mit Ostbosnien zurückgewiesen wurde. Dann gab der Hungerstreik, zumindest während seiner ersten zögernden Tage, Sarajevo diesen unerläßlichen Touch des Humors, der es uns ermöglichte, die folgenden Monate zu überleben. Aber seelische und geistige Nahrung wird auch dann, wenn sie aus hochkalorienhaltigem schwarzem Humor besteht, nie Mehl, Zucker und Speiseöl ersetzen.Hamža Bakšić

(Übersetzung: Bettina Bremme)

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