KURZKRITIK: BENNO SCHIRRMEISTER ÜBER MARIA STUART : Ein Sack fällt um
Mitten auf der Bühne liegt ein Sitzsack, altweiß, und er beginnt zu leben, als ätherische Klänge über ihn wehen, die Louise Vind Nielsen live per Elektronik und Geigenbogen einem Ofenrohr entlocken. Der Sack wälzt sich um. Öffnungen zeigen sich. Mühsam pressen sich Gliedmaßen aus ihnen, Hände, Füße, er gebiert Nadine Geyersbachs Kopf. Allmählich richtet sie sich auf. Steht.
Spricht. „Einen Sprung muss man tun“, sagt sie, geht in die Hocke – hopst und fällt um. Geyersbach spielt Queen Elizabeth in Anne Sophie Domenz’ Inszenierung von Friedrich Schillers „Maria Stuart“. Der vorgeschaltete Monolog aber spielt auf dessen „Ästhetische Erziehung des Menschen“ an. Laut diesem Brief-Essay macht ja „die Einbildungskraft in dem Versuch einer freien Form den Sprung zum ästhetischen Spiele“. Und „einen Sprung muss man es nennen“, insistiert Schiller – einen Sprung in die Kunst, in die Freiheit. Die träumt er als „ästhetischen Staat“, in dem alle gleich sind. Wie im Tod.
Korrespondierendes Gegenstück zum Reich des Scheins ist Schillers England: Elisabeth hat, Gefangene ihres Jobs, Maria eingekerkert, die so frei ist, als Elisabeth sie besucht, den Kopf zu verlieren und diese wüst zu beschimpfen. Beide sind Bewohnerinnen der großen schwarzen Kugel der Melancholie, die Franziska Waldemer vier Meter hoch als kleine drehbare Extrabühne mitten in den Raum gebaut hat: Klare Bilder, die dieses zutiefst deprimierende Unfreiheits-Drama der zwei Königinnen zugleich als Dramen-Drama sehen lassen. Eine schlüssige Deutung, obwohl die eingeschobenen selbst gebastelten Texte mitunter nerven, ja sogar unfreiwillige, aber fast denunziatorische Komik entsteht, als ausgerechnet Charge Justus Becker darüber reflektiert, was denn das ewige Händeringen und Augenrollen solle. Doch das vergisst man angesichts einer fabelhaft furiosen Betty Freudenberg in der Titelrolle und Geyersbachs beklemmender Erdenschwere.
10. und 15. 7., 20 Uhr sowie 13. 7., 18.30Uhr, Kleines Haus