KURT BECK SUCHT EINEN NEUEN VORSTAND UND MISSACHTET DIE BASIS : Proporz macht Sinn
Wenn von Proporz die Rede ist, dann klingt das fast immer abfällig – gerade so, als handele es sich bei dem Begriff um einen anderen Ausdruck für Filz und Mauschelei. Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck hat deshalb kaum Schelte zu befürchten, wenn er nun ohne Rücksicht auf regionalen Proporz die Zahl seiner Stellvertreter verringern will. Zumal große Teile der Öffentlichkeit ohnehin zahlreiche politische Posten für entbehrlich halten. Riskant ist der Plan dennoch.
Unmittelbaren Einfluss auf Wahlergebnisse haben strukturelle Parteireformen nicht. Mittelbaren schon. Die schönsten Fernsehauftritte der Führungsspitze können die Mobilisierung der Basis in einem Wahlkampf nicht ersetzen. Ob die gelingt, hängt aber auch davon ab, ob sich die Mitglieder von den Gremien ihrer Partei ernst genommen fühlen.
Das Signal, das SPD-Parteivorstand und Präsidium gestern den ostdeutschen Genossen gegeben haben, lautet: Da unsere besten Leute „leider, leider“ alle aus dem Westen stammen, müsst ihr euch damit abfinden, künftig keinen direkten Draht mehr zur Parteispitze zu haben. Ob das klug ist? Proporz hat nämlich entgegen dem landläufigen Vorurteil keineswegs nur etwas mit Mauschelei und Filz zu tun, obwohl er dazu führen kann. Sondern zunächst einmal mit Repräsentanz. Die fehlt dem Osten künftig. Das wird die Basis nicht freuen. Ganz ohne sie lässt sich jedoch schlecht regieren.
Die Personalentscheidungen, die gestern auf die Schiene gesetzt wurden, bedeuten aber auch noch etwas anderes. Die SPD-Gremien zeigen damit, dass sie den Fall Kurnaz für Schnee von gestern und das Verhalten von Frank-Walter Steinmeier für moralisch einwandfrei halten. Die Willensbekundung, den einstigen Kanzleramtschef und heutigen Außenminister zum neuen Parteivize küren zu wollen, geht weit über das übliche Maß an Solidarität und die Zurückweisung von Rücktrittsforderungen hinaus. Es ist ein Schlag ins Gesicht all derer, die das Verhalten der rot-grünen Bundesregierung gegenüber Murat Kurnaz als mitleidlos und selbstgerecht kritisieren. Und eine Missachtung des Untersuchungsausschusses, der seine Arbeit noch nicht abgeschlossen hat. BETTINA GAUS