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■ K.R. Röhl zu H.M. Broder in der „Wochenpost“ (30.3.94)Normalisierung in deutlichster Form

Wir leben in glorreichen Zeiten. Ein Film namens „Schindlers Liste“ kommt in die Kinos, und fast alle weinen mit. Eine Synagoge wird in Brand gesetzt, und zumindest einige gehen demonstrieren. Wir feiern Gedenktage wie Erinnerungswochen, und wir outen gnadenlos die braune Gefahr, wo immer sie sich erhebt. Manchmal allerdings passiert etwas, womit wir nicht gerechnet haben, manchmal rutscht etwas durch die Maschen der Aufmerksamkeit, was zeigt, daß das ganze Lernprogramm vielleicht umsonst war.

Klaus Rainer Röhl, ein Mann mit linker Vergangenheit, veröffentlicht in der Wochenpost einen Artikel, in dem er mit Henryk M. Broder, auch einem Mann mit linker Vergangenheit, scharf ins Gericht geht. Er bezieht sich auf eine Kritik Broders an diversen Rezensionen von „Schindlers Liste“, eine davon (von Sigrid Löffler) in der Wochenpost. Röhl teilt uns mit, in Broders Kopf habe sich „zunehmend die fixe Idee festgezurrt, alle Deutschen seien Antisemiten, wohlgemerkt: alle“. Es ist möglich, daß Röhl Gedanken besser als Texte lesen kann, denn einen Text von Broder, worin er diese „fixe Idee“ zur Kenntnis gibt, ist der Öffentlichkeit noch nicht bekannt. Um so bekannter muten Röhls folgende Formulierungen an: „Vielleicht will Broder den Begriff political correctness ... jetzt in Deutschland als Selektionsprinzip einführen. Die journalistischen Kollegen werden an die Rampe gestellt und sortiert.“

Es mag ja sein, daß Geschichte sich nicht wiederholt. Nur eines wiederholt sich immer wieder, weil es den Antisemitismus ausmacht: die perfide Behauptung, daß es doch eigentlich die Juden selber sind, die durch ihr Verhalten, ihr ganzes SOSEIN den Judenhaß erst provozieren. Von Franz Schönhubers Vorwurf, Ignatz Bubis sei der wahre „Volksverhetzer“, ist es nicht weit zu der luziden Phantasie Klaus Rainer Röhls, Henryk M. Broder stelle seine journalistischen Kollegen an die Rampe und selektiere sie. Wenn ALLE Deutschen Antisemiten sind, dann braucht sich auch Herr Röhl nicht mehr mit diesem Vorwurf zu befassen. Und wenn die Juden doch eigentlich in Auschwitz zu bestimmen hatten, wer ins Gas gehen mußte, ist die Enlastungsstrategie perfekt.

Schade eigentlich, daß es doch ein bißchen anders war. Aber wer wie der späte Nolte-Doktorand und Welt-Autor Röhl so tapfer an der Normalisierungsfront tätig ist und da sogar bis an die Rampe geht, arbeitet ja fleißig mit an der kollektiven Umdeutung. Einmal schon sind die Deutschen den Juden zuvorgekommen, als sie uns beinahe vernichtet hätten. Und wieder erkennen sie, erkennt Klaus Rainer Röhl noch früh genug die drohende Gefahr: Wenn man sie nur läßt, die Juden, dann machen sie uns allen den Garaus. Es gibt antisemitische Äußerungen, bei denen man sagen kann: ES SPRICHT AUS IHM (oder ihr). Hier hat der Autor selbst gesprochen, und die Redaktion der Wochenpost hat es gedruckt. Elke Schmitter

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