KOMMENTARE: Titos Armee im Abseits
■ Mit der jetzt auftretenden Staatskrise wird der serbisch-kroatische Konflikt verschärft
Wenn die jugoslawische Armee einen Putsch in Erwägung gezogen hat, dann hat sie (glücklicherweise) den Zeitpunkt dazu verpaßt. Mit dem Kompromiß zwischen der serbischen Opposition und dem serbischen Präsidenten Milosević vom vergangenen Dienstag, der einen serbisch-nationalen Konsens begründet, ist die Armee vorerst ins Abseits geraten. Angesichts der Auflösungstendenzen Jugoslawiens konnte sich die Spitze der Armee, die immer noch von der Ideologie einer sozialistischen Föderation, wie sie Staatsgründer Tito vorgegeben hat, durchdrungen ist, in den letzten Monaten auf die serbische Führung als Bündnispartner stützen. Denn die serbische Politik hatte bisher den Anspruch auf ein von Serbien dominiertes Jugoslawien nicht aufgegeben. Indem die Armee sich jedoch in der vergangenen Woche direkt in den innenpolitischen Konflikt in Serbien mischte — was sie gegenüber Kroatien und Slowenien immer wieder nur angedroht hatte —, ist sie auch bei der serbischen Opposition auf Widerstand gestoßen.
Angesichts dieser Konstellation blieb einem der wichtigsten Befürworter des Eingreifens der Armee, dem Vorsitzenden des achtköpfigen Staatspräsidiums, Borislaw Jović, nichts anderes übrig, als von seinem Posten abzutreten. Mit seinem Austritt aus dem Staatspräsidium (die Vertreter Montenegros und der Wojwodina folgten diesem Schritt) hat der Serbe Jović die Staatskrise offengelegt. Das Staatspräsidium, dem jetzt der Kroate Mesić vorsitzt, hat damit beträchtlich an Bedeutung eingebüßt — und mit ihm letzlich sämtliche zentralen Verfassungsorgane. Mit seinem Schritt dokumentierte Jović darüberhinaus einen dramatischen Paradigmenwechsel der serbischen Politik: Die Ankündigung Milosevićs, nun die eigene Polizei — nach dem Beispiel Sloweniens und Kroatiens — zu militarisieren, zeigt an, daß die serbische Führung von ihrem gesamtjugoslawischen Führungsanspruch abzurücken beginnt. Jetzt geht es ihr vor allem offen und in Übereinstimmung mit der Opposition darum, den Nationalstaat Serbien zu formen und dessen Interessen gegenüber den anderen Republiken zu vertreten.
Unbeschadet der Frage, wie lange sich Milosević als Vertreter der kommunistischen Bürokratie in Serbien an der Macht halten kann, wird mit diesem Paradigmenwechsel der kroatisch-serbische Konflikt verschärft. Denn Serbien als Nationalstaat wird auf die serbischen Siedlungsgebiete in Kroatien und in Bosnien nicht verzichten wollen. Seit dem Wochenende erkennen die Serben im bisher zu Kroatien gehörenden Knin die kroatische Republik nicht mehr an. Wenn sich aber die Spannungen zwischen Serbien und Kroatien bis hin zur Kriegsgefahr steigern — eine Provokation könnte bewaffnete Auseinandersetzungen auslösen —, käme die Armee erneut ins politische Spiel. An der Aufgabe, das Erbe Titos zu wahren, ist sie allerdings jetzt endgültig gescheitert. Erich Rathfelder
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