KOMMENTARE: Wird ab jetzt zurückgeknüppelt?
■ Nach dem Spielabbruch in Dresden erschallt der Ruf nach mehr Gewalt gegen Gewalt
Ein Fußball-Europacupspiel erlebt sein Ende nicht. Elf Minuten vor dem Abpfiff wird der Sport von einem Steinhagel erschlagen. Dresdner Hooligans stiften Chaos und erreichen einen Spielabbruch. Sie begrüßen ihn mit einem Freudenschrei.
„Es hilft nur noch härtere Gewalt“, fordert Dresdens schockierter Trainer Häfner. „Bonn muß klare Gesetze erlassen“, unterstützt ihn der von einem Steinwurf am Kopf verletzte Geschäftsführer Kluge. „Wozu gibt es denn den Radikalenerlaß?“, fragt ein (West-)Journalist nach dem Spiel. Wer nur die Sprache des Knüppels versteht, muß sie auch zu hören bekommen — so lassen sich die Kritiken am abwartenden Vorgehen der Dresdner Polizei und ihrer bayerisch-grenzschützenden Kollegen zusammenfassen. In Rostock vor einer Woche knüppelte die Polizei übereifrig heftig — und verlor. Diesmal hielt sie sich lange zurück — und verlor auch. Ist der Staat gegen 500 gewaltbereite Hooligans machtlos?
Zumindest sind die inzwischen fußballtäglich zu erlebenden Krawalle ein deutliches Indiz für die fehlende Angst vor Staatsorganen. Westliche, hafenstraßenerfahrene Beamte sind erschüttert über die Angriffslust der ostdeutschen Hooligans. Die ehemaligen „Volkspolizisten“ sind im Umgang mit Radikalen aller Art immer noch befangen und unbeholfen und deshalb mitunter sogar provokant. Damit hinterlassen sie auf die Hooligans eine ähnliche Wirkung wie anheizende Äußerungen von Politikern und Medien.
Mecklenburgs Ministerpräsident Gomolka vermutet Stasi-Erben unter den Fußballrandalierern von Rostock, die das Land destabilisieren wollen, indem sie DDR-Fahnen schwenken. Er hat nicht einmal die harmloseste Form von Hooligan-Provokationen verstanden. Die Boulevardpresse bereitet neue Spieltage im Stile der Schlachtberichterstattung vor. Auch in Dresden kam sehr schnell der Verdacht, daß eigentlich die berüchtigten Berliner Hools den Abbruch des EC-Spiels bewirkt hätten. Aber die Verhafteten kamen aus anderen Städten.
Unmittelbare Gegengewalt, wie sie jetzt von allen Seiten verstärkt gefordert wird, hilft höchstens für den Moment der Auseinandersetzung. Wenn nicht parallel dazu kompetente Fanbetreuer und Sozialarbeiter herangezogen werden, um die sozialen Ursachen des Hooliganismus besser zu erkennen und zu erklären, wird man der Gewalt in Fußballstadien nie Herr werden. Großaktionen der Polizei und besonders gewaltsame Auftritte der Hooligans haben bisher nur bewirkt, daß sich der Zulauf zu ihnen verstärkte. Hagen Boßdorf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen