KOMMENTARE: Ende des südafrikanischen Frühlings
■ Die Überwindung der Apartheid tritt in ihre schwierigste Phase
Wer reden kann, hat nicht unbedingt viel zu sagen, und ein Volksheld ist noch lange kein guter Politiker. Nelson Mandela, stellvertretender Vorsitzender des südafrikanischen ANC, macht zur Zeit eine ziemlich schlechte Figur. Mit seiner Verknüpfung von Person und Programm hat er zwar erreicht, was noch vor zwei Jahren in Südafrika undenkbar gewesen wäre — die politischen Organisationen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit sind nicht nur legal, sie sind auch unverzichtbare Verhandlungspartner der weißen Regierung —, doch gerade weil diese Revolution an Mandelas Charisma gebunden blieb, findet sie nur schwer aus seinem Windschatten heraus.
Mandela und de Klerk hoffen gemeinsam, im Tête-à-tête die vielschichtigen Erwartungen einer der kompliziertesten Länder der Welt bündeln und als „ideelle Gesamtsüdafrikaner“ die Geschicke des Staates in eine lichte Zukunft lenken zu können. Doch die Rechnungen der Apartheid-Vergangenheit sind noch offen. Mehr noch: Inzwischen ist nicht einmal klar, wo die Gegenwart liegt. In den Townships werden Fehden ausgetragen, die immer mehr Menschen in den Strudel der Blutrache hineinziehen. Das Klima von Unversöhnlichkeit und Verzweiflung läßt auch Mandela hilflos erscheinen. Nebenbei fördert es eine Festungsmentalität. Ein dubioses Volksheldentum kommt auf. Die Frauenorganisation des ANC huldigt Mandelas Ehefrau Winnie, die gerade wegen einer undurchsichtigen Mordaffäre vor Gericht steht. Mangasotho Buthelezi, Führer der Zulu-Partei Inkatha, spielt den lachenden Dritten neben Mandela und de Klerk; zugleich gibt er seinen Schlägertrupps freie Hand.
Noch kleben am neuen Südafrika die weißen Eierschalen, das Küken der Demokratie ist noch nicht bewegungsfähig — und schon entsteht ein Politikertypus, der mit dem hehren Moralismus Mandelas nichts mehr zu tun hat. Es steht zu befürchten, daß die Macht in Südafrika in Zukunft wieder ausschließlich aus den Gewehrläufen kommt. In den schwarzen Ghettos entladen sich nicht nur Frustrationen, sondern dort bilden sich politische Gewaltverhältnisse heraus, die mit dem bisherigen Konflikt zwischen weißen Herrschern und rechtlosen Schwarzen nur noch wenig gemein haben. Ob der einstige Volksheld Mandela in einer solchen Konstellation seinen Heiligenschein bewahren kann, ist fraglich. Seine jetzige Taktik besteht darin, durch das Lostreten einer Debatte über die Schuld an den Massenmorden die Urheber der Gewalt moralisch zu stigmatisieren. So werden in den nächsten Wochen womöglich einige Verantwortlichkeiten geklärt. In einer Gesellschaft ohne politische Moral kann dies jedoch nur als Schlammschlacht enden. Der kurze südafrikanische Frühling, in dem „Verantwortung“ zu einem politischen Leitmotiv werden sollte, scheint vorbei zu sein. Dominic Johnson
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