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KOMMENTAREWende zum Alltag

■ Ein Erdrutschsieg in Rheinland-Pfalz und sein sozialdemokratischer Verwalter

Es war die Chronik eines angekündigten Absturzes, dieser Wahlkampf der CDU. Die CDU hat sich praktisch ohne Denkpause zur gnadenlosen Selbstkritik bekannt, frei nach dem Brechtschen Motto: Wir haben schwerwiegende Fehler gemacht, nur wissen wir nicht genau, welche. Der triumphierende Sieger Rudolf Scharping bilanziert wie ein Buchhalter die Niederlage Kohls und das blendende Preis/Leistung-Verhältnis seiner Wahlkampagne, um sofort zur Geschäftsordnung, zur Koalitionsverhandlung mit der FDP überzugehen. Auch die SPD selbst hat nicht viel Zeit verstreichen lassen, sich mit der Dimension der Wahlniederlage von Kohl zu beschäftigen, sondern kündigt gleich an, die Abschaffung der Vermögens- und Gewerbekapitalsteuer im Bundesrat zu verhindern.

Bevor nun Sieger und Besiegte die Spuren auf der Walstatt verwischen, sollte man sich doch dem bemerkenswerten Fatalismus widmen, mit dem die CDU die vorausgesagte Niederlage hinnahm. Helmut Kohl trat zwar vierzehn Mal auf, aber die Partei mobilisierte nicht. Der Kanzler mußte zudem die Blamage hinnehmen, daß das depressive Kandidaten-Tandem Wagner/Wilhelm ihm und seiner Steuererhöhung zur selben Zeit die Schuld an der unabwendbaren Niederlage zuschob. Wie unersetzbar Heiner Geißler ist, hat vor allem Rheinland-Pfalz gezeigt. Er hätte diese apathische Schicksalsergebenheit nicht zugelassen. Er hätte überhaupt die groteske Doppelkandidatur von Wilhelm und Wagner verhindert, die ins Rennen gingen wie auf einem Mafia-Begräbnis, wo bekanntlich Mörder und Leidtragende gemeinsam die Inszenierung bestreiten.

Überdies hat Kohl mit Geißler seinen letzten ernstzunehmenden Gegner verloren. Das heißt aber auch, daß er — nachdem nun wieder der Makel des Wahlverlierers ihm anhaftet — bald alle zum Gegner haben wird. Nicht der Machtverlust, sondern die Art, wie er sich vorbereitete, deutet auf den Machtzerfall der Generation Kohls. Die Unfähigkeit, weder personalpolitisch noch perspektivisch auf die veränderte Lage im vereinten Deutschland zu reagieren, bedroht die CDU und nützt der SPD.

Das Ergebnis an diesem Wahlsonntag liegt im Trend, in einem doppelten Trend. Ganz abgesehen von den hausgemachten Gründen aus einer überjährigen CDU-Herrschaft regierten hier wie in Berlin und Hessen die gleichen wahlentscheidenden Motive: die tiefe Beunruhigung über die deutsche Vereinigung. Allerdings mit unterschiedlichem Ausgang. In Berlin wählte vornehmlich Westberlin die CDU, weil sie zur Interessenverteidigung gegenüber der heraufziehenden Not im Osten tauglicher schien. In Rheinland-Pfalz hat die sogenannte „Steuerlüge“ noch einmal deutlich gemacht, auf welch kostspieliges Abenteuer sich die Bonner Vereinigungspolitik eingelassen hat. Auch hier scheint, wie Diepgen in Berlin, Scharping der cleverere und vor allem jüngere Interessenvertreter des Landes zu sein. Mit der Vereinigung hat der Einheitskanzler vor allem ein Motto der Adenauer-Zeit preisgegeben: keine Experimente. Kohl hat das ganze Land in ein großes Experiment gestürzt. Keine Experimente ist die unausgesprochene Parole vor allem der westlichen SPD- Länder.

Der zweite Trend ist die Wiederkehr der rot-grünen Perspektive; sie war im Grunde erstaunlich kurzfristig nur durch das Vereinigungsjahr unterbrochen, in dem sich die Grünen politisch abgemeldet hatten, um Trauerarbeit über die verlorene DDR zu leisten. Diese Tendenz bleibt als Tatsache unberührt, auch wenn sich jetzt die SPD beeilt, mit der FDP zu koalieren. Dafür spricht vieles. Mit einer solchen Koalition hätte die SPD einen stärkeren Einfluß auf die Bundespolitik, ohne die politische Verantwortung für die in den nächsten Jahren drohenden Erschütterungen zu tragen. Das wäre jedenfalls der taktisch wirksamste Vorbereitungsschritt für einen Machtwechsel.

Aber was den rot-grünen Trend stark macht, hat diese Wahl ebenfalls sehr deutlich gezeigt. Rot- Grün steht für Ökologie als Modernisierungskonzept, steht für Generationswechsel, für Parteien als effektive Dienstleistungsorganisationen. Es ist nicht nur das Bild des radelnden Scharping am Rheinufer, sondern der moderne, fast technische Begriff von Infrastruktur, der den neuen Ministerpräsidenten zum Erfolg trug. Kitas, Altenpflege, öffentlicher Verkehr — das alles hat kaum noch mit sozialer, sozialdemokratischer Überzeugung zu tun, sondern gehört auch zu einer reibungslosen und bequemen Dienstleistungsgesellschaft. Ebenso hat sich der bäuerliche Teil des Landes längst von seiner geistigen Bindung an den Boden gelöst. Der Weinbauer weiß, daß die Honoratiorenpartei nur noch gut ist für Weinskandale; er weiß, daß ökologisches Wirtschaften im Kampf um den EG-Markt immer wichtiger wird.

So richtig glücklich können die Grünen über diesen Erfolg nicht sein. In ihrem langen, unsinnigen, kräftezehrenden Kampf mit dem Fundamentalismus ist ihnen im Ende nur die Besinnung auf den ökologischen und erfolgversprechenden Generaltrend der Gesellschaft übriggeblieben. Was sie nicht entwickelten, ist ein Begriff ökologischer Demokratie, den Begriff eines politischen Engagements jenseits der Rechts-Links-Schemata der Gesellschaft. Besonders die pfälzischen Grünen haben die Kampagnen gegen den amerikanischen Imperialismus vor den US-Basen für eine ausreichende ideologische Grundlage gehalten, eine gesellschaftliche Alternative darzustellen. So bleibt am Ende für die Grünen keine andere Rolle als die einer ökologischen FDP, eben die zweite kleine Partei, mit der die beiden großen Parteien die Mehrheitsfrage ausreizen müssen. Diesmal allerdings wird die ältere FDP vor der jüngeren den Zuschlag bekommen. Klaus Hartung

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