KOMMENTARE: Tempokratie
■ Über das Beschleunigungsgesetz und andere Beschleunigungen
Nachdem nun der Entwurf des Beschleunigungsgesetzes vom Kabinett verabschiedet wurde, muß sich auch die SPD beeilen: ihre Bundesratsmehrheit ist unversehens zum ausschlaggebenden Faktor für die künftige demokratische Entwicklung Deutschlands geworden. Das Beschleunigungsgesetz gehört genau in jene Kategorie von Anfängen, denen es zu wehren gilt. Die Einschränkung von Raumordnungsverfahren, Bürgerbeteiligung und Umweltverträglichkeitsprüfungen ruiniert jene Alltagsdemokratie, an die sich die alte Bundesrepublik in den letzten zwanzig Jahren mühsam gewöhnen mußte. Der Entwurf ist eine politische Obszönität: die demokratischen Einspruchsrechte werden beschränkt, noch bevor die Bürger der Ex-DDR die Chance hatten, damit Erfahrungen zu machen. Dabei weiß jeder, daß nicht nur die Arbeitslosigkeit in der Ex-DDR die Leute vereinzelt, sondern auch die Tatsache, daß es kein demokratisches Engagement für die eigenen Belange gibt.
Der Entwurf des Ministers Krause kann als Exempel für das angesehen werden, was in Bonn unter „Herstellung der Einheit“ verstanden werden soll. Die große Chance einer Reform von Gesellschaft und Staat, die die Misere des Ostens eröffnet hat, wird vertan. Oft beschrieben: Das dichte östliche Eisenbahnnetz, das schließlich doppelt soviel Kilometer hat wie das westliche, hätte beschleunigt renoviert werden können, wollte man verkehrspolitisch wirklich von der Straße auf die Schiene umschalten. Aber hier wie auch sonst, wie bei der Beschleunigung der Rechtsprechung gilt: Verstärkung der Verwaltungsmacht statt Verwaltungsreform. Aber auch wenn Minister Krause mit seiner trüben Effizienz genau jenes technokratische Spätprodukt des Realsozialismus repräsentiert, auch wenn die Entdemokratisierung über den Osten nach Westen kommt, kann vor simplen Feindbildern nur gewarnt werden. Insbesondere die Linke, die jetzt die untergegangene Bundesrepublik vergoldet und in der Westbindung, im Föderalismus eine demokratische Kultur feiert, die von der Verostung bedroht sei, sollte begreifen, daß derlei Beschleunigungen aus dem Mangel an demokratischer Substanz in Bonn kommen. Das Beschleunigungsgesetz setzt die Bonner Tempokratie fort. Es kommt aus dem Geist des Einigungsvertrages. Krause ist nur der Minenhund, den die Ministerialbürokratie losgeschickt hat, um zu sehen, was zumutbar ist. Klaus Hartung
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