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KOMMENTAREWeizsäckers Tag von Potsdam

■ Fünfzigster Jahrestag: Im Gegensatz zu von Weizsäcker fand Kohl angemessene Worte

Im allgemeinen haben Völker die politischen Repräsentanten, die sie verdienen. Wir haben Kohl und von Weizsäcker. Dort, wo es um die deutsche Vergangenheit geht, steht der eine für die national eingefärbte Tollpatschigkeit der späten Geburt, der andere für das gepflegt-gediegene, der Außenhandelsbilanz förderliche Abtragen der deutschen Schuld. Fast wäre die Erinnerung an den 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion untergegangen, beiseite geschoben worden von der offiziellen Bonner Politik im Trubel der Rentenanpassung und der Mutter aller Debatten, der Hauptstadt-Debatte. Buchstäblich in letzter Sekunde, aber dann mit der dem Volk der Blitzkrieger selbstverständlichen Effizienz mobilisierte die Bonner Spitze ihre Redenschreiber, Diplomaten und Protokollchefs, um schließlich doch noch an das zu erinnern, was Ernst Nolte (ausgerechnet der) schon früh als den „größten Raub- und Vernichtungskrieg der Geschichte“ gekennzeichnet hatte. Das Ergebnis ist ebenso klar wie für die Öffentlichkeit überraschend: Der Bundeskanzler fand die richtigen Worte, der Bundespräsident versagte kläglich.

„Im Angesicht der Verbrechen“, so Helmut Kohl im deutschen und sowjetischen Fernsehen, „die im deutschen Namen und von deutscher Hand begangen wurden, leisten wir den feierlichen Schwur: Nie wieder Diktatur! Nie wieder Krieg!“ Kohl sprach von deutsch, wo Honecker von faschistisch gefaselt hätte, um dann klipp und klar von der Schuld nicht irgend eines Diktators, sondern der deutschen Hand zu sprechen. Demgegenüber hatte Richard von Weizsäcker nichts Besseres zu tun, als im besten Bitburg/Bergen-Belsen-Stil je einen Kranz an Gräbern sowjetischer und deutscher Soldaten niederzulegen. Wo Kohl Verbrechen und Verantwortung benannte, säuselte Weizsäcker von „schweren Erinnerungen und unermeßlichem Schmerz“. Zu irgendeinem inhaltlichen Wort ließ sich das deutsche Staatsoberhaupt nicht herbei. Vielmehr setzte er auf die Symbolik des Ortes: Potsdam schien ihm dazu besonders geeignet, jener Ort, an dem Hitler und Hindenburg am 21. März 1933 den Tag von Potsdam zelebriert und das Bündnis zwischen Nazismus und preußischem Militarismus geschmiedet hatten: ein Bündnis, das bis Stalingrad ohne bedeutende Risse hielt, das Blitz- und Vernichtungskriege, den Kommissarbefehl und die systematische Ermordung von Millionen sowjetischer Zivilisten hervorgebracht hat.

Herrn von Weizsäcker fiel dazu nichts ein. Er war ja ganz naiv zu einer Sentimental-Journey aufgebrochen: War er doch am 22. Juni 1941 von Potsdam aus mit seinem Infanterie-Regiment Nr. 9 als junger Leutnant nach Osten gezogen, nahm dann an der Belagerung von Leningrad teil, wurde Verbindungsoffizier der blutigen Heeresgruppe Mitte zum Oberkommando der Wehrmacht und wußte in dieser Eigenschaft sicher mehr über deutsche Verbrechen als der geschundene Kurt Waldheim. Hatte Weizsäcker bei seinem Staatsbesuch in der UdSSR 1987 noch in letzter Minute die Kraft gefunden, von seiner „Verstrickung“ zu sprechen, so kehrte er nun in den Kreis der alten Kameraden zurück — einer Generation, die sich an sich selbst nicht mehr erinnern kann. Götz Aly

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