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KOMMENTAREVergebliche Lektion

■ Lange vor seinem physischen Ende war Klaus Barbie im politisch-moralischen Sinn tot

Klaus Barbie, der 1987 vom Schwurgericht des Départements Rhône zu lebenslanger Haft verurteilte ehemalige Gestapochef von Lyon, war in zeitgeschichtlichem Sinn schon tot, als er nun im Gefängnis einer Krebserkrankung erlag. Vergeblich hatte sein Verteidiger Jacques Vergès versucht, ihn ausgerechnet mit Hilfe dieser Krankheit noch einmal zu öffentlichem Leben zu erwecken: Um der puren Provokation willen appellierte er an den prominenten Krebsspezialisten Léon Schwarzenberg, die Behandlung Barbies zu übernehmen, wobei es ihm nicht um den Mediziner, sondern um den Juden Schwarzenberg ging. Das potentielle Opfer und der Naziverbrecher, vereint und versöhnt im Zeichen des Krankheitsnotstands — ein Leckerbissen für die gefräßigen Medien, den Schwarzenberg mit seiner Ablehnung aber vom Tisch fegte.

Das Gericht hatte den Prozeß gegen Barbie als eine historisch-pädagogische Lektion verstanden, dazu bestimmt, der schleichenden Bagatellisierung der Nazivergangenheit entgegenzuwirken und jede Versuchung zur nostalgischen Verklärung des Nationalsozialismus aus den Köpfen derer zu vertreiben, die sich von der mit Nazi-Assoziationen kokettierenden Front National angezogen fühlten. Der in Lyon eingesperrte ehemalige Gestapochef Barbie sollte der Lektion zu dauerhafter Wirkung verhelfen — durch sein Überleben als Bestrafter. Doch er war es, der die Lektion überlebt hat und damit den politischen Sinn seines Überlebens als Bestrafter. Schon ein Jahr nach seiner Verurteilung fanden 15 Prozent der Wähler in Frankreich nichts mehr dabei, jenem Le Pen die Stimme zu geben, der die Ermordung in den Gaskammern kurz nach Ende des Barbie-Prozesses wegwerfend eine „Detailfrage der Geschichte des Zweiten Weltkrieges“ genannt hatte.

Barbie war wegen Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt worden — jenem aus der Nürnberger Rechtsprechung übernommenen Straftatbestand, in dem die Idee einer umfassenden Verantwortlichkeit für die Menschheit enthalten ist. In diesem Sinn hatte Serge Klarsfeld gehandelt, als er nicht nur Barbie vor Gericht bringen half, sondern auch Strafanzeige gegen führende Beamte des Vichy-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschheit stellte. Keine dieser Anzeigen hat bisher zu einem Prozeß geführt. Paul Touvier, damals Chef der mit der Lyoner Gestapo kollaborierenden „Miliz“, befindet sich auf freiem Fuß.

Hatte die Verurteilung Barbies zur Höchststrafe den Ernst dieses das gewöhnliche Strafrecht sprengenden Tatbestands unterstrichen, so hat sich das Verbrechen gegen die Menschheit inzwischen in einen opportunistisch flottierenden Begriff verwandelt. So sieht sich nun der frühere Kommunist Jacques Boudarel, der sich im Indochinakrieg auf die Seite der vietnamesischen Revolution schlug und in ihrem Sinn gefangene Franzosen agitierte, seit kurzem mit der Klage wegen Verbrechen gegen die Menschheit konfrontiert...

Zu den vielen Opfern der Lyoner Gestapo hatte der Historiker und Mitbegründer der heute vielzitierten Annales-Schule Marc Bloch gehört. Als Angehöriger der Résistance gefangengenommen, war er kurz nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 frühmorgens aus der Zelle geholt und zusammen mit Mithäftlingen auf einem Feld bei Lyon von den nervös gewordenen Nazis ermordet worden. „In der Résistance gefallen“ sei Marc Bloch, war kürzlich in der 'FAZ‘ zu lesen, aus der Feder des Historikers Michael Stürmer, der in seinem Artikel für „Revisionen“ plädiert. Doch sie brauchen kein Plädoyer, sie sind längst in vollem Gang. Vielleicht ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir lesen dürfen, daß die jüdischen Kinder von Izieu, für deren Deportation in die Vernichtungslager Barbie verurteilt worden war, in offener Feldschlacht mit der deutschen Wehrmacht ums Leben gekommen sind. Es ist etwas ins Rutschen geraten, und der Tod des Naziverbrechers Klaus Barbie erscheint dabei nur noch als gleichgültig vermischte Meldung. Lothar Baier

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