KOMMENTARE: Souveräner Bush
■ Es gilt nun, die unkontrollierte Ausbreitung der Atomwaffen rückgängig zu machen
Einseitig, „ohne Vorbedingungen und Verhandlungen“, läßt Präsident Bush ein ganzes Arsenal Atomwaffen vernichten und verzichtet sogar auf die gerade erst beschlossene Neuentwicklung der nächsten Generation von Massenvernichtungswaffen. Ein Grund zu ungeteilter Freude, auch wenn es noch viel mehr sein könnte.
Die Führung der USA nimmt die Chance souverän wahr, Jelzin und Gorbatschow gegen die in der Deffensive befindliche Generalität zu stärken, den beiden die Demilitarisierung in der alten Sowjetunion zu erleichtern und so mehr Spielraum für eine Konversion der Industrie zu ziviler Produktion zu gewinnen. Die amerikanische Regierung paßt sich pragmatisch und unkompliziert dem Tempo des Wandels in der Sowjetunion an — ihre Politik forciert die Demokratisierung.
Nach der Phase wahnwitziger, nuklearer Überrüstung bleibt als zentrale sicherheitspolitische Frage, wie die unkontrollierte Ausbreitung der Atomwaffen, die vom Westen selbst verschuldet wurde, rückgängig gemacht werden kann. Die Vorstellung, daß USA und Sowjetunion ihre Nuklearwaffen verschrotten, während Pakistan und der Irak zum Beispiel, sich Atomwfffen zulegen oder gar aus der UdSSR stammende, vagabundierende Atomwaffen in den südlichen Republiken der Sowjetunion Erpressungspotentiale entstehen lassen, macht eine begrenzte Menge an Nuklearwaffen als „minimale Abschreckung“ in nächster Zukunft unverzichtbar. Wie diese atomare Militärgewalt strukturiert, und politisch kontrollierbar werden muß, damit sie eine defensive Funktion erfüllt und nicht selbst zur Bedrohung des Friedens mißbraucht werden kann, ist jetzt zu klären. Diese Abrüstungsinitiative ist eine US-Offerte, sich unter ihrem stark zurückgerüsteten Nuklearschirm und noch zu erfindenden internationalen Kontrollmechanismen an das Zimmern einer demokratischen Weltsicherheitsordnung zu machen.
Auch wenn es irritiert, das Franzosen und Engländer anstatt Bushs Radikalität zu folgen, ihre Nuklearpotentiale zwar verkleinern, aber zugleich modernisieren und damit verstärken, ist das kein Grund, die alte falsche These von der besonderen Bedrohung der Bundesrepublik neu aufzulegen. Frankreich und Großbritannien wollen mit ihrer Weiterrüstung ihren Anspruch sichern, weiter als selbständige Weltmächte neben den USA zu gelten. Dazu dienen ihre Nuklearpotentiale. Deren strategischer Wert ist gering, die Selbstgefährdung für beide Länder und Europa ohne jedes Maß. Auf Dauer aber kann Europa atomwaffenfrei werden. Das ist in der transatlantischen Partnerschaft zu erreichen. Wenn es einen strukturell grantierten politischen Kontrollmechanismus gibt, der eine gemeinsame Verfügung der USA, des Vereinigten Europas und vielleicht der erneuerten Sowjetunion gibt, um über die noch unverzichtbare atomare „minimale Abschreckung“ zu verfügen, dann werden Frankreich und Großbritanien die Begründungen für nationale Atomwaffen fehlen. Die europäischen Regierungen sind am Zug. Bisher bieten sie viel zu wenig für den Weltfrieden. Udo Knapp
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