KOMMENTARE: Neue Optionen für Jelzin
■ Der sowjetische Staatsbankrott und die Abstimmung in der Ukraine
Die jüngste sowjetische Haushaltskrise ist von Boris Jelzin geschickt ausgenutzt worden — gegenüber Michail Gorbatschow, gegenüber den anderen Republiken und hier insbesondere gegenüber der Ukraine. Wirtschaftlich war die Zentrale bereits zuvor in eine völlige Abhängigkeit von Rußland geraten; mit der Übernahme des sowjetischen Finanzministeriums und damit auch der Staatsbank ist die Zentrale jetzt auch ökonomisch enthauptet. Jelzins gleichzeitiges Versprechen, daß alle SowjetbürgerInnen die ihnen zustehenden Löhne, Gehälter und Pensionen erhalten, kommt dabei eine doppelte Funktion zu: Zum einen unterstreicht sie, daß Rußland die „kleinen“ Republiken nicht vergißt, zum anderen aber macht sie unmißverständlich klar, daß es faktisch die russische Regierung ist, die über die Auszahlungen befindet: ein Druckmittel bei den Verhandlungen mit den anderen Republiken.
Es muß zwar nicht sogleich zur Anwendung kommen. Aber es bietet die brutale Option, in anderen Republiken von einem Monat auf den anderen weitere Krisenherde zu schaffen. Der Beschluß vom Ende letzter Woche, die russische Staatsangehörigkeit auch den 26 Millionen Russen zukommen zu lassen, die in den anderen Republiken wohnen, zielen in dieselbe Richtung: Wenn schon die wirtschaftlichen Beziehungen nach und nach zerreissen, sollen jetzt neue Abhängigkeiten und Verbindungen aufgebaut werden, die es Jelzin ermöglichen, eine aktive politische Rolle auch im künftigen Ausland zu spielen.
Mit der Übernahme der sowjetischen Haushaltspolitik und der zugehörigen Institutionen hat sich Jelzin zudem von einem Nachteil gegenüber seinem ukrainischen Amtskollegen Leonid Krawtschuk befreit. Während Jelzin durch die Notwendigkeit, Unions- und Wirtschaftsvertrag mit den anderen Republiken und der Zentrale zu verhandeln, in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt war, hat sich die Ukraine in den letzten drei Monaten fast ungestört auf die Souveränität vorbereiten können. Die USA sind mit ihrer Ankündigung, die ukrainische Unabhängigkeit anerkennen zu wollen, die ersten gewesen, die zu erkennen gaben, daß sie diese Entwicklung richtig einschätzen.
Seit diesem Wochenende, genau passend zur Abstimmung in der Ukraine, hat Jelzin gleichgezogen: Mit der Verfügung über die Moskauer Notenbank, in die Gorbatschow nicht mehr hineinreden kann, ist Jelzin nun ebenso unabhängig wie Krawtschuk, der schon längst damit begonnen hat, aus den Sowjet-Rubeln durch Stempelaufdruck ukrainische Grivnas herstellen zu lassen. Prompt ließ der russische Präsident durchblicken, daß auch er den Unionsvertrag nicht unterzeichnen werde, wenn die Ukraine sich weigere.
Die Zahlungsunfähigkeit der Staatsbank ist von Rußland verursacht worden. Dadurch ist das sowjetisch-ukrainische Nicht-Verhältnis der letzten Monate zu einem russisch-ukrainischen Verhältnis geworden. Krawtschuk ist nun gezwungen, seine Pläne über die künftige Zusammenarbeit mit Rußland auf den Tisch zu legen. Dietmar Bartz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen