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KOMMENTAREKrieg und Frieden

■ In El Salvador werden nach elf Jahren Krieg nun die Waffen schweigen

Noch ist ein formelles Friedensabkommen nicht geschlossen. Einige „technische Fragen“ — wie die Auflösung der militärischen Struktur der Guerilla — sind noch offen. Doch am nahen Ende des Krieges in El Salvador kann kein Zweifel mehr bestehen. Nach der „Akte von New York“, dem von der UNO vermittelten Agreement zwischen Regierung und Aufständischen, werden die Waffen schon in wenigen Wochen schweigen. Erreicht hat die Guerilla im wesentlichen das Versprechen einer Säuberung der Armee und einer Reduzierung ihrer Mannschaftsstärke sowie die Bildung einer neuen, zivilen Polizei, in der sie selbst zum Teil aufgehen soll. Das ist, gemessen an den eigenen ursprünglichen — revolutionären — Zielen, wenig. Und es ist wenig, wenn man bedenkt, daß Repression und Krieg in den letzten zwölf Jahren immerhin 75.000 Menschen das Leben gekostet haben und über eine Million Salvadorianer — das sind 20 Prozent der Bevölkerung — ihre Heimat verlassen mußten.

Der Krieg hat sich also nicht gelohnt, mag man jetzt räsonnieren. Ein wohlfeiles Urteil — post festum gefällt. Wer verstehen will, bevor er verurteilt oder rechtfertigt, wird nicht umhin kommen, sich die Situation El Salvadors vom Januar 1981, als die Guerilla ihre militärische Offensive startete, ins Gedächtnis zu rufen. An die 10.000 Menschen waren in den 15 Monaten seit dem Militärputsch vom Oktober 1979 den staatlich dirigierten und protegierten Todesschwadronen zum Opfer gefallen. Hunderte von flüchtenden Bauern waren am Rio Sumpul, dem Grenzfluß zu Honduras, von Militärs niedergemäht worden, selbst fünf christdemokratische Minister hatten aus Protest gegen die Repression die Regierung verlassen. Reformwillige Offiziere hatten sich in den Untergrund abgesetzt. Die sechs wichtigsten Führer der linken, zivilen Opposition waren in einen Hinterhalt gelockt und allesamt grausam ermordet und verstümmelt worden. Selbst der Erzbischof von San Salvador hatte festgestellt: „Dem Volk bleibt nur noch der legitime Aufstand“. Eine Woche später wurde er am Altar erschossen, als er gerade das Requiem für den ermordeten Herausgeber der einzigen linken Tageszeitung des Landes hielt. Auf den Trauerzug der 200.000 Menschen, die dem Erzbischof das letzte Geleit gaben, eröffnete die Armee das Feuer.

Daß sich die Linke in dieser Situation für die Option des bewaffneten Kampfes entschied, ist verständlich, umso mehr, als anderthalb Jahre zuvor in Nicaragua der militärische Sieg der Sandinisten den Weg für grundlegende Reformen — insbesondere die Landreform — geöffnet hatte. Daß der Guerilla in El Salvador ein Sieg wie im Nachbarland verwehrt blieb, liegt sicher zum Teil in ihrem Sektierertum und ihrer Unfähigkeit begründet, die gesellschaftlichen Veränderungen nach 1981 adäquat zu erfassen, zum allergrößten Teil aber eben daran, daß die USA ein zweites Nicaragua um jeden Preis verhindern wollten — und der betrug 1986 täglich eine Million Dollar Wirtschafts- und Militärhilfe an das bürgerkriegsgeschüttelte Land. Seit 1984 schon drängte die Guerilla auf Verhandlungen, zunächst sicher aus taktischen Gründen, in den letzten Jahren aber offenbar aufgrund der Erkenntnis, daß ein militärischer Sieg ohnehin nicht möglich ist. Spätestens seit dem Regierungswechsel in Managua — Folge des von den USA in Nicaragua induzierten Krieges, dem zwischen 1985 und 1990 etwa 40.000 Menschen zum Opfer fielen — wußte die salvadorianische Guerilla zudem, daß ohne ein breites Bündnis mit reformwilligen Schichten der herrschenden Klassen das durch den Krieg wirtschaftlich ruinierte Land nicht regiert werden kann.

Jahrelang sabotierte in El Salvador der christdemokratische Präsident Duarte einen Erfolg von Friedensverhandlungen. Erst sein rechtsextremer Nachfolger Cristiani lenkte nun ein — unter dem Druck der USA, die nun angesichts der neuen weltpolitischen Situation wenig Lust verspüren, weiterhin einen teuren, aussichtslosen Krieg zu finanzieren. Die militärischen Auseinandersetzungen werden also zu Ende gehen. Doch solange sich an den Ursachen, des Bürgerkrieges, nämlich an der extrem ungerechten Verteilung von Land und Reichtum, nichts ändert, wird jede Übereinkunft brüchig bleiben. In Ländern, wo der Humus einer zivilen Gesellschaft nie entstehen konnte, wo Hunger, Elend und Angst herrschen, sei es nun in der Dritten Welt oder in vielen Ländern, die früher zur Zweiten Welt gehörten, ist Demokratie ein sehr relativer Begriff und ist die Neigung zur repressiven Lösung sozialer Konflikte den Gesellschaften quasi inhärent.

Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Scheinalternative werden nun, und das ist begrüßenwert, viele regionale Konflikte auf der Welt beigelegt. Es wird sich aber zeigen, daß die Konflikte nicht wirklich gelöst werden können, wenn dabei nur idealistisch und ideologisch von Frieden, Freiheit und Demokratie gesprochen wird. Vielmehr geht es gerade darum, den Gedanken der sozialen Gerechtigkeit wieder aufzunehmen und — jenseits des alten Streits weltbeglückender Ideologien — zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung zu machen. Thomas Schmid

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