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KOMMENTAREKinkel, der Pragmatiker

■ Der Justizminister setzt um, was Kenner der RAF seit Jahren fordern

Die Pläne von Klaus Kinkel, mehrere RAF- Gefangene vorzeitig aus der Haft zu entlassen, sind Ausdruck einer pragmatischen Herangehensweise. Mit Mitteln der Polizei oder der Strafverfolgung allein ist dem Problem RAF nicht beizukommen. Das hat der Jurist spätestens in seiner Zeit als Unterhändler der Bundesregierung beim letzten Hungerstreik der RAF-Gefangenen im Frühjahr 1989 gelernt. Zu deutlich ist Kinkel und mit ihm dem früheren Innenminister Wolfgang Schäuble und anderen Vertretern der Sicherheitsbehörden vor Augen, wie ein Anschlag des RAF- Kommandos „Jose Manuel Sevillano“ nur wenige hundert Meter vom Innenministerium entfernt am 27. Juli 1990 sein Ziel, den Staatssekretär Hans Neusel, um Haaresbreite verfehlte. Die RAF, politisch isoliert, ist dennoch in der Lage, jeden x-beliebigen Politiker oder Wirtschaftskapitän zur Zielscheibe ihrer Attentate zu machen. Auf der anderen Seite stochern die Fahndungsbehörden seit Jahren im Nebel; sie können nicht einmal mehr den Personenkreis benennen, den sie zum sogenannten Kommandobereich dazuzählen.

Kinkel ist sich darüber hinaus bewußt, daß es allein die Sonderhaftbedingungen sind, die im letzten Jahrzehnt der RAF zur Rekrutierung neuer Mitglieder verhalfen. Bemerkenswert war schon gewesen, daß Kinkel nach den tödlichen Attentaten auf Alfred Herrhausen und Detlev Karsten Rohwedder erneute Haftververschärfungen gegen die RAF-Gefangenen abblockte, wohlwissend, daß dies nur eine weitere Drehung an der Gewaltspirale bewirken würde.

Kinkels Vorgehen stützt sich auf Analysen des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes, wonach die Gefangenen das einzige und letzte konstituierende Moment der Rote Armee Fraktion bilden. Die vom verstorbenen Hamburger Verfassungsschutzchef Christian Lochte herausgegebene Parole „Keine Gefangenen — keine RAF mehr“ wird mit Kinkel erstmalig auch von einem Bonner Justizminister geteilt. Das Signal, über eine versöhnliche Haltung des Staates den Gefangenen eine Perspektive für ihre Freilassung zu eröffnen, ist ernst gemeint, wie der Verzicht auf ein formelhaftes Abschwören von der Fiktion des bewaffneten Kampfes beweist. Erinnert sei auch an die Bemühungen der Bundesregierung, im Ausland mit den Aktiven der RAF einen Kontakt herzustellen, um über ein mögliches Ende zu verhandeln. Soll die von Kinkel gewollte Chance für eine politische Lösung nicht vertan werden, muß er nun seine Pläne entschieden auch gegen den Widerstand des Koalitionspartners CSU durchsetzen. Das Signal könnte sonst als plumper Versuch einer Täuschung, als Hinhalteversuch einer Strategie „Solange verhandelt wird, wird nicht geschossen“ gedeutet werden. Wolfgang Gast

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