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KOMMENTAREModerater Auftakt

■ Die IG Metall ist kompromißbereit — nun sind die Arbeitgeber am Zug

Die Industriegewerkschaft Metall hat mit ihren Beschlüssen ein doppeltes Signal gegeben: Mit dem den Bezirken vom Frankfurter Vorstand vorgegebenen Forderungsrahmen von 9,5 Prozent hat die größte DGB-Gewerkschaft ihre Bereitschaft signalisiert, veränderte wirtschaftliche Bedingungen ebenso in ihrer Tarifpolitik zu berücksichtigen wie die Belastungen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit. Gleichzeitig hat sie mit ihrem Beschluß zur Urabstimmung in der Stahlindustrie deutlich gemacht, daß sie sich bei aller Bereitschaft zum tarifpolitischen Augenmaß nicht über den Tisch ziehen lassen will — allerdings auch hier wieder versetzt mit einem Verweis auf ihre prinzipielle Kompromißbereitschaft: die Urabstimmung findet nicht sofort statt, wie es im nordrhein-westfälischen Stahlrevier vielfach gefordert wurde, sondern erst Ende des Monats.

Es bleiben also noch zwei Wochen, in denen die Stahlarbeitgeber sich auf ein für die Gewerkschaft akzeptables Angebot zubewegen können. Dieses liegt nicht bei 5,2 Prozent, wie sie von den Stahlarbeitgebern in der letzten Woche offeriert worden sind, sondern — analog zum Metall-Abschluß von 1991 — bei deutlich über sechs Prozent.

Mit ihrer 9,5-Prozent-Forderung hat die IG Metall eine schwierige interne Diskussion fürs erste beendet. Denn der Druck der westdeutschen Mitglieder auf die Gewerkschaft, nach jahrelanger Lohnstagnation bei gleichzeitiger Explosion der Unternehmensgewinne nun endlich auch für die abhängig Beschäftigten effektive Einkommenszuwächse durchzusetzen, war und ist groß. Von dem 6,7-Prozent-Abschluß des letzten Jahres ist wegen der gestiegenen Inflationsrate und der Anhebung von Steuern und Abgaben real nicht viel hängengeblieben. Der Druck aus den Betrieben nach einer Forderung von über 10 Prozent, wie sie auch von anderen Gewerkschaften erhoben wird, war beträchtlich und führte dazu, daß insbesondere die Bezirke Baden-Württemberg und Hamburg dem nun beschlossenen Forderungsrahmen nur zähneknirschend zugestimmt haben.

Um so mehr wird die Gewerkschaft jetzt darauf achten, daß das Ergebnis sich nicht allzu weit von der Forderung entfernt. Denn mit ihrem unerwartet moderaten Auftakt hat die IG Metall den Unternehmern sicher keinen Freibrief ausgestellt für einen niedrigen Abschluß unterhalb der Marge, die durch Preissteigerungen und sonstige Belastungszuwächse gegeben ist. Angesichts zurückgehender Konjunktur hat die Gewerkschaft die Weichen auf Besitzstandswahrung gestellt. Ihre traditionelle Forderung nach einer Korrektur der immer mehr ins Ungleichgewicht geratenen Vermögensverteilung zwischen abhängiger und unternehmerischer Arbeit hat sie zwar nicht ausdrücklich, aber de facto zurückgestellt — wohl aus der in den letzten Jahren gewachsenen Einsicht, daß dieses Problem über die Lohntarife ohnehin nicht zu lösen ist. Sollten die Arbeitgeber jetzt versuchen, das Entgegenkommen der IG Metall für einen Abschluß weit unterhalb der 6-Prozent-Marke auszunutzen, wird es einen harten lohnpolitischen Konflikt geben, wie er sich für die Stahlindustrie schon abzeichnet. Martin Kempe

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