KOMMENTARE: Sternstunde deutscher Außenpolitik
■ Der Bundestag bedauert die Absage an die UNO-Menschenrechtskonferenz in Berlin
Was, so grübeln Berliner Politiker nun schon seit knapp zwei Jahren, macht aus einem Häusermeer eine Weltstadt — wie werden wir endlich Metropole? Inmitten der weitverbreiteten Ratlosigkeit gab und gibt es einen strahlenden Fixstern, der, so sind sich alle einig, den Weg in die Zukunft weisen könnte: Internationale Organisationen müssen her. Wenn die UNO- Zentrale schon unbedingt am Hudson River bleiben soll, könnte man dann als Kompensation nicht wenigstens alle Institutionen für den Ost-West- Ausgleich in Berlin ansiedeln? Da wurde vom ständigen Sitz der KSZE geredet, vielleicht die Nato an die Spree, falls die Russen doch Mitglied werden und anderes mehr. Was neben einer verkrachten Olympiabewerbung, die Berlin ja auch allenfalls auf Zeit in den Metropolenrang katapultieren würde, blieb, war die für kommendes Jahr geplante UNO-Menschenrechtskonferenz. Ein Glücksfall, wie alle meinten, ist doch kaum ein besseres Renommee denkbar als der Kampf für die Menschenrechte. Mit rund 150 Ministern und 20.000 weiteren weniger prominenten Teilnehmern erfüllte die Konferenz auch die Voraussetzungen für weltweite Publizität, ist sie doch fast ein Novum mit lediglich einem illegitimen Vorläufer, der zu Schah- Zeiten in Teheran stattgefunden hatte.
Nun ist der Traum von der Menschenrechtskonferenz geplatzt. Nicht etwa, weil der Berliner Senat plötzlich der Meinung wäre, Konferenzen brächten für die Menschenrechte eh nichts. Nein, die Bundesregierung in Person unseres permanent konferierenden Außenministers Genscher hatte plötzlich keine Lust mehr auf eine Sondersitzung in Berlin. Das Ganze sei einfach zu teuer und für die Stadt, die demnächst die Bundesregierung beherbergen soll, auch zu aufwendig. Let's go to Genf, beschied Hans-Dietrich den neuen UN-Generalsekretär Butros Ghali, da kann die UNO im eigenen Saal tagen.
Warum eines der reichsten Länder der Welt aus heiterem Himmel und ohne die Verantwortlichen in Berlin überhaupt zu befragen der UNO plötzlich einen Korb gab, konnte gestern auch im Bundestag niemand verstehen oder erklären. Quer durch alle Parteien schüttelte man die Köpfe, sprach von kaum glaublichem Dilettantismus. Doch obwohl sich alle einig sind und die Bundesregierung keinerlei überzeugendes Argument vorweisen kann, bleibt die Empörung Ausdruck purer Hilflosigkeit. Die Entscheidung ist gefallen: Berlin bleibt Provinz, und die Menschenrechte müssen eben woanders verteidigt werden. Jürgen Gottschlich
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