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KOMMENTAREAlle reden vom Wetter beim Ostermarsch

■ Wenn eine Protestform als Ritual konserviert wird

Die bundesdeutsche Demonstrationskultur ist in der Gefahr, die Bedeutung von Aktionen nach „Einschaltquoten“ zu bewerten: Kamen keine 100.000 mehr zu den diesjährigen Ostermärschen, nur noch zehntausend, noch weniger? Außerparlamentarische Aktionen sind nicht demokratische Wahlen, manchmal sind drei Demonstranten mit ihrer Wahrheit ein Signal und die schweigende Masse nicht der Rede wert. Das „schlechte Wetter“ am Ostersamstag spricht also für nichts.

Vielsagend ist demgegenüber, daß das zerfallende Jugoslawien, der Kampf um Kabul/Afghanistan, um Nagorny-Karabach — also der reale Krieg — auf den Kundgebungen der „Friedensbewegung“ im Westen offenbar kein Thema war. Einst gehörte es zur Tradition des Ostermarsches, jedes Thema auszuklammern, das die Politik der Sowjetunion zu problematisieren drohte und dem „breiten Bündnis“ mit denen, die die SU für einen friedliebenden Staat hielten, abträglich war. Die Sowjetunion ist verblichen, aber der Horror, sich den Folgen des Realsozialismus, das heißt auch der Explosion des Nationalismus in seinem ehemaligen Herrschaftsgebiet zu stellen, blieb.

Die sich in diesen Tagen selbst zur „Friedensbewegung“ ernennenden Ostermarsch-Verwalter setzen die Politik des Verschweigens und Verdrängens fort, auch die der gezielten thematischen Einschränkungen. Sechs Jahre nach Tschernobyl reduzieren sich die üblichen Ostermarsch-Aufrufe auf die militärische Nutzung der Atomenergie, regionale Thematisierung von Uranfabriken und Lagern wird nur als „Vielfalt vor Ort“ geduldet.

Als in der Bundesrepublik ein breiter Konsens herrschte, daß gegen den real existierenden Sozialismus Aufrüstung mit allen Mitteln gerechtfertigt sei, da war das scheinbar so unpolitische „Ohne mich“, da war die schlichte Kombination der Worte „Frieden“ und „Leben“ ein Zeichen provokativen Protestes, ob da hundert oder hunderttausend auf den Marktplätzen standen.

Ostern 1992 steht die Welt hilflos vor den Bürgerkriegen in Osteuropa, im Westen streiten die Parteien vor allem um Tempo und „Kosten der Abrüstung“. Da sagen die Parolen der 60er Jahre nichts mehr.

Daß auch nur ein Ostermarsch vor ein deutsches Gewerkschaftsbüro zog, um den Stopp der Rüstungsproduktion unabhängig von Arbeitsplätzen zu fordern, wurde nicht gemeldet. Klaus Wolschner

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