KOMMENTARE: Rabin muß Farbe bekennen
■ In Israels neuer Regierung sind die „Religiösen“ erneut Zünglein an der Waage
Der Machtwechsel in Israel ist vollbracht — und wäre im allerletzten Moment doch beinahe gescheitert. In nur drei Wochen hat Jizchak Rabin eine Dreierkoalition seiner Arbeitspartei mit dem linksliberalen Parteienbündnis „Meretz“ und der orthodox-religiösen „Shass“ zusammengebracht, die seiner Regierung eine Mehrheit in der Knesset sichert. Rabin hatte sich eine breitere Koalition gewünscht. Doch waren die Verhandlungen mit den rechten Parteien, allen voran mit „Tsomet“, am Wochenende gescheitert.
In letzter Minute wollte auch die kleine orthodox-religiöse Partei „Shass“ ausscheren, die wegen Beteiligung an einer „säkularen“ Regierung fast auseinandergebrochen wäre. Die Koalition, noch keine zwei Tage alt, hätte damit in der gestrigen Abstimmung der Knesset nicht die erforderliche Mehrheit bekommen. Das zumindest blieb Rabin erspart. Man hat sich statt dessen darauf geeinigt, daß Shass niemanden in Rabins Kabinett entsendet, die Fraktion aber für die Regierung stimmt.
In der israelischen Politik hat es ohnehin Tradition, daß die „Religiösen“ das Zünglein an der Waage spielen. Doch Rabin hat die letzten Wahlen haushoch gewonnen und war während der Koalitionsverhandlungen auf diese Art der Mehrheitsbeschaffung nicht unbedingt angewiesen. Gleichwohl hat er sich von Shass abhängig gemacht, da er versuchte, eine Regierung zu bilden, ohne im Hinblick auf die Politik in den besetzten Gebieten Farbe zu bekennen. Seine Koalition sollte offen nach allen Seiten sein. Er wollte mit „rechts“ und „links“ zugleich koalieren, und das aus durchaus einleuchtenden Gründen: In einer Mitte-Rechts- Koalition mit Tsomet und den Nationalreligiösen hätte er die Verhandlungen mit den Palästinensern niemals aus der Sackgasse herausmanövrieren können. In einer Mitte-Links-Regierung mit Meretz und den beiden vor allem von israelischen Palästinensern gewählten kleinen Parteien „Demokratische arabische Front“ und „Arabische Demokratische Partei“ hätte er sich von Anfang an in eine gefährliche Konfrontation mit der frustrierten rechten Wählerschaft und der Siedlerbewegung gebracht. Die Koalition mit Meretz und Shass, auf die sich Rabin statt dessen verlassen hat, soll ein späteres Einschwenken der rechten Tsomet und der Nationalreligiösen Partei ermöglichen.
Rabin hat also versucht, alles in der Schwebe zu halten. Doch stehen ihm in den nächsten Monaten politische Entscheidungen ins Haus, bei denen selbst eine solidere Mehrheit im Parlament nicht ausreichen könnte.
Die Nahostverhandlungen, insbesondere soweit sie die Autonomieverhandlungen mit den Palästinensern in den besetzten Gebieten betreffen, werden das neue Kabinett zu einer Thematisierung lange tabuisierter Fragen zwingen. Solange Rabin hier nicht Farbe bekennt, läuft er Gefahr, daß eine kleine Fraktion wie Shass ihn in seinem komplizierten Balanceakt zum Taumeln oder zum Stürzen bringt. Nina Corsten
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