KOMMENTARE: Bräsiger Brei
■ Wenn der Kanzler über Filz und Verkrustung plaudert
Da haben wir es: Jetzt warnt der Kohl vor Populismus! Als Vorsitzender der größten deutschen Volkspartei wird er wissen, wovon er redet. „Wer populistisch redet, neigt zu opportunistischem Handeln“. Und: Parteienkritik sei oft innerhalb der Parteien am schärfsten. Wir erinnern uns an Kohls Bemerkungen 1990: das populistische Gerede, eine starke Marktwirtschaft würde den Aufbau-Ost sozusagen aus dem Überschuß im Ärmel schütteln; das Versprechen, niemandem werde es schlechter gehen, wenn der DDR-Wirtschaft mit einem Währungsumtausch von heut' auf morgen der Boden entzogen wird; das Gerede vor der Wahl, Steuererhöhungen seien nicht erforderlich, das opportunistische Werkeln an Sonderabgaben und Gebühren aller Art nach der Wahl...
Würde man Kohl nicht anders kennen — die Kolumne in der Welt am Sonntag könnte glatt als Selbstkritik mit spitzer Feder gelesen werden. In allen Parteien gebe es Mißstände wie „Filz“, „Verbonzung“ und manche Verkrustung, räumt er ein. Seit wieviel Jahrzehnten ist Kohl der Meister des Aufstieges im CDU-Filz? Wer heute leichtfertig über Parteien herziehe, tue gerade auch den vielen ehrenamtlichen Mitgliedern Unrecht, findet Kohl. Wir lesen: Den Hauptamtlichen, den Bonzen und Filz-Köpfen tut man also weniger Unrecht damit. Aber wieviel haben eigentlich diese ehrenamtlichen Mitglieder zu sagen in der CDU? In einer aktuellen, prononcierten Debatte kommt Kohl mit einer Weisheit aus seinem Politik-Schulbuch sechste Klasse daher: Nach den Erfahrungen der Weimarer Republik haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rates gewußt, daß starke Parteien eine wichtige Voraussetzung für demokratische Stabilität sind. Der Satz ist falsch: „Sein können“, müßte es im Konjunktiv lauten, „wenn ...“, ja wenn sie nicht unglaubwürdig werden und ihnen die WählerInnen weglaufen. Dies aber ist seit einiger Zeit der Fall und das Thema, verstärkt durch den Populismus und Opportunismus der Bundesregierung in der Politik der deutschen Einheit. Dem unterdrückten Staatsvolk der DDR das Angebot der freiheitlich-demokratischen Ordnung der Bundesrepublik zu machen, die anfängliche Euphorie schamlos zu einem populistischen Wahlkampf auszunutzen und in zwei Jahren derart gründlich in der Wählergunst in die Minderheit zu geraten, das ist ein beispielloses Versagen „politischer Führung“.
Der Bundeskanzler leistet sich offenkundig bis heute nicht einen Redenschreiber, der wenigsten einen Satz mit unbequemer Wahrheit in den selbstgerechten bräsigen Brei hineinmogelt, den ein Kohl offenbar gern liest, wenn er dem Angebot, eine Kolumne unter seinem Namen zu veröffentlichen, nicht widerstehen kann. Klaus Wolschner
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