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KOMMENTAREAuf dem Markt der Barmherzigkeit

■ Die Protagonisten humanitärer Hilfsaktionen haben nichts als ihren Ruf zu verspielen

Es ist ein ebenso deprimierendes wie unabänderliches Faktum: Humanitäre Hilfe für Opfer von Kriegen ist zum medialen Spektakel, zum Geschäft oder auch zum politischen Vehikel mutiert. Das Fernsehen als globale Emotionsmaschine stimuliert mit seinen Schreckensbildern — sei es aus Albanien, Somalia oder Sarajevo — nicht nur die Hilfsbereitschaft in den Wohnzimmern der Reichen, sondern lockt auch die zahlreichen nationalen und internationalen Hilfsorganisationen in eine Konkurrenz auf den Markt der Barmherzigkeit. Seit bald zwanzig Jahren gilt dabei folgende einfache Regel: Je mehr Fernsehkameras sich auf das Leiden und den Tod unschuldiger Menschen richten, um so mehr Hilfsorganisationen eilen an den gerade prominenten Ort des grausigen Geschehens.

Hochgradige Idealisten finden sich unter diesen Krisenhelfern, aber auch verantwortungslose Abenteurer. Manche von ihnen sind Profis, andere — wie die beiden Abgeordneten Sachsen-Anhalts — schreckliche Dilettanten. Eines jedoch verbindet die „medecins sans frontieres“, die fundamentalistische „World Vision“ oder auch die Unicef; sie alle sind von Spenden abhängig. Ihre Aktionen dienen deshalb nicht nur notleidenden Menschen, sondern gleichzeitig auch dem eigenen Image und dem fund raising. Immer häufiger kommt es dabei zu einem Verdrängungswettbewerb verschiedener Hilfsbedürftiger. Wird eine Hungerkatastrophe in Rußland prophezeit, gehen die Notleidenden der Sahelzone mal wieder leer aus. Viele Regierungen in der Dritten Welt haben sich längst auf die Katastrophen-Konkurrenz eingestellt: Wenn einer der notorischen Taifune Bangladesch heimsucht, manipuliert die Regierung die Zahlen der Opfer schnell nach oben, um mehr Hilfsgüter und Spenden zu akquirieren.

Bei dem beständigen Wettlauf der Hilfsorganisationen mit ihren Klingelbeuteln sind zahlreiche Fälle hoffnungslos inadäquater Hilfsaktionen bekannt. So beglückte eine private US-Hilfsorganisation vietnamesische Boat people in Malaysia mit Wasserbetten, westdeutsche Katastrophenhelfer schafften arktistaugliche Zelte ans Horn von Afrika, und ostdeutsche Solidaritäts-Experten versuchten die Nöte peruanischer Erdbebenopfer mit 80.000 DDR-Staatswimpeln zu lindern. Dies kann kein Argument gegen schnelle und effektive Hilfe für die Opfer von Kriegen in Bosnien und anderswo sein, doch edle Beweggründe allein reichen nicht aus. Mißmanagement und Dilettantismus untergraben das einzige Kapital des Hilfsgeschäftes: Solidarität, Mitleid und die Vorstellungskraft für das Leiden Fremder. Schon aus diesem Grund müssen sich die Protagonisten und Aktivisten der Barmherzigkeit der Kritik stellen.

Die beiden Magdeburger Abgeordneten, deren Waisen-Evakuierung zwei Kindern das Leben kostete, haben leichtfertig den Sinn und die Glaubwürdigkeit der gesamten Hilfs-Branche in Frage gestellt. Dabei nützt es nichts, die Verhältnisse zu beklagen, unter denen eine Soldateska wahllos Menschen mordet. Die Beendigung dieser Verhältnisse ist — wenn überhaupt — nur noch mit militärischen Mitteln zu bewerkstelligen. Hilfsorganisationen hingegen müssen in der Lage sein, selbst zwischen den verworrensten Bürgerkriegsfronten eine realistische Abwägung der Risiken zu leisten, die in jedem Fall Leben rettet und nicht gefährdet. Ihre einzige Legitimation und Aufgabe nämlich ist die Rettung von Leben. Vor diesem Hintergrund haben die publicitybewußten Hasardeure aus Magdeburg den Ruf aller Hilfsorganisationen in Mitleidenschaft gezogen. Sie haben die Verantwortung für sechzig Waisenkinder auf sich genommen. Zwei von ihnen brachten sie nicht die Rettung, sondern den Tod.

Das Interesse der Medien an diesem Fall, das angesichts der Zahl der Opfer überdimensioniert erscheinen mag und allein die Umstände ihres Todes thematisiert, ist deshalb berechtigt: Auf den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina können wir derzeit kaum Einfluß nehmen. Wohl aber auf die Strategien, mit denen von hier aus Hilfe geleistet werden kann. Michael Sontheimer

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