KOMMENTARE: Bewegung bei den Grünen
■ Konkrete Hilfe statt prinzipieller Gewaltfreiheit
Die Grünen sind nach ihrem Selbstverständnis eine pazifistische Partei. Konflikte müssen politisch gelöst, Interessen am Verhandlungstisch ausgeglichen werden. Voraussetzung dafür, daß diese Politik funktioniert, ist ein hohes Maß an Rationalität und Bereitschaft zum Kompromiß. Es ist sicher richtig, dafür zu kämpfen, Konflikte — beispielsweise über die UNO — zukünftig nur noch auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien zeigt aber schon seit Monaten mit brutaler Deutlichkeit, daß der Weg dahin noch erschreckend weit ist. Wie verhält man sich also zu den Kriegen die jetzt, nachdem die eiserne Klammer des Kalten Krieges entfallen ist, wieder führbar geworden sind und prompt auch geführt werden?
Einige Gruppen der Friedensbewegung haben in einem Memorandum , das auch von den Grünen unterzeichnet wurde, vor einer Woche dargestellt, wie man ihrer Meinung nach nicht reagieren dürfe. Unter dem Strich warnen die Gruppen vor einer neuerlichen „Militarisierung der Außenpolitik“, sprich, dem Versuch, unter dem Dach welcher Institution auch immer, Soldaten als Konfliktlösung anzubieten. Das Papier hatte nur einen Haken — es gab keine Antwort auf die Frage, wie man den in Gorazde, Sarajevo und anderen Orten eingeschlossenen Menschen helfen könnte.
Dieser zur Zeit brennendsten Frage haben sich zwei prominente Vertreter der Grünen jetzt gestellt. Helmut Lippelt und vor allem Claudia Roth gehörten bislang zu dem Teil der Grünen, die dazu neigten, sich hinter Prinzipien zu verschanzen. Um so höher muß man ihnen anrechnen, daß sie angesichts dessen, was sie in Serbien und Bosnien gehört und gesehen haben, nicht länger bereit sind, die Augen zu verschließen. Egal ob das, was in Bosnien jetzt geschieht, tatsächlich Formen das Faschismus angenommen hat oder nicht — die in den Lagern aller Bürgerkriegsparteien dahinvegetierenden Menschen müssen befreit werden, Mörderbanden darf man nicht um des Prinzips der eigenen Gewaltfreiheit willen gewähren lassen. Lippelt und Roth gehen noch weiter: sie stellen die Frage, ob eine demokratisierte UNO nicht tatsächlich einer „polizeilichen Eingreiftruppe“ zur Durchsetzung ihres Gewaltmonopols bedarf. Beide werden in weiten Teilen ihrer Partei erst einmal auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Trotzdem werden sie eine Debatte auslösen, die für die Glaubwürdigkeit und die Konsistenz grüner Außenpolitik enorm wichtig ist. Jürgen Gottschlich
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