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KOMMENTAREDas Versagen ist komplett

■ Rostock ist unseren Demokraten keine politische Geste wert

Wir leisten uns einen Bundespräsidenten, damit er zur rechten Zeit am rechten Ort die rechten Worte sagt: mildtätig und wunderheilend und zu nichts verpflichtend, aber dies alles mit Nachdruck und, wenn möglich, im Fernsehen. Richard von Weizsäcker, der weißgelockte Edelmann, hat sich in dieser Rolle Verdienste erworben — aus seinem Mund gesprochen wird weltweit jede schwere Lage leicht, bohrender Hunger gestillt, brennender Durst nach Wein wie Wasser gelöscht. Er ist, wie Lady Di, zum regelmäßigen Besuch der Waisenheime seines Imperiums verpflichtet, und niemand wirft ihm vor, daß er die Politik nicht macht, sondern nur gut zu verkaufen sucht. Allein dafür wird er bezahlt.

Wo ist er also diese Woche? Der Meister aus Deutschland aller Klassen schwebt über allem, statt da zu sein, wo er hingehört: bei den Flüchtlingen aus Rostock, die aus Rostock flüchten mußten, und zwar vor deutschen MitbürgerInnen. Das höchste Amt im Staate ist von einem Loch besetzt.

Weizsäckers Versagen ist nicht das einzige, aber das schwerste, weil er den Tanzmeister der deutschen Formen macht. Wenn er es nicht einmal für nötig hält, einen vietnamesischen Kinderkopf in Rostock zu tätscheln, warum sollten dann Rita Süßmuth, Rudolf Seiters, Klaus Kinkel und Konsorten dergleichen tun? Wenn er uns über die ‘Bild'-Zeitung (die wir alle regelmäßig lesen) mitteilen läßt, was er von den Pogromen hält, warum sollte Kohl dann mehr tun als reden?

Weizsäckers Nichtverhalten komplettiert den deutschen Skandal. Der Rechtsstaat BRD blamiert sich auf den drei hier entscheidenden Ebenen: polizeitaktisch, politisch und symbolisch. Der Polizei, die sehr wohl in der Lage ist, ein Münchner Pfeifkonzert mit Kesseldruck zu beenden, schützt Ausländer nur, wenn sie Maßanzüge tragen. Die PolitikerInnen nehmen die deutschen WählerInnen vor Überfremdung in Schutz und machen die Opfer zu Tätern. Und jene repräsentative Monarchie, die wir Demokraten uns leisten, verzichtet auf jede politische Geste.

Gerade das Bürgertum weiß, daß Gesten zur Politik gehören wie der Hut zur Glatze: die Problemzone bedeckend und bei Sonnenschein verzichtbar. Ein Händedruck, ein Foto mit Kind auf dem Arm verpflichten zu nichts und machen reaktionäre Politik keineswegs unmöglich, sondern im Regelfall erst konsumierbar. Mit dem Verzicht auf jedes Bild, auf jede Geste, auf jedes Symbol haben die deutschen PolitikerInnen bewiesen, was sie inzwischen für zumutbar halten — den Nichtdeutschen und uns. Elke Schmitter

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