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KOMMENTARFlügellahm

■ Die Karlsruher Entscheidung der Grünen

Prophetie a posteriori ist immer schlecht. Dennoch: Ganz so überraschend ist die exemplarische Niederlage des Bundesvorstands in Karlsruhe nicht; und das nicht nur, weil sich schon vorher das Aufbegehren der Basis vernehmlich angekündigt hatte. Der Bundesvorstand selbst war von der Parteigeschichte überholt. Die Grünen wählten ihn seinerzeit als linksradikales Korrektiv zur rot-grünen Praxis in Hessen. Aber mit dem Verlust von Hessen war auch die rot –grüne Perspektive verschwunden und existierte bestenfalls als ideologisches Desiderat fort. Auf den nachfolgenden Delegiertenkonferenzen verteidigte sich der Bundesvorstand letztlich mit der Methode der politischen Erpressung: Er stellte sich als letzte Bastion einer aussterbenden Position dar und reklamierte Minderheitenschutz. Solche Manöver waren zur Wirkungslosigkeit verdammt, sobald sie durchschaut werden konnten. Das aber war eine Frage der Zeit. Diese Zeit ist mit Karlsruhe abgelaufen.

Der Finanzskandal um „Haus Wittgenstein“ machte überdies in den letzten Monaten deutlich, daß die Grünen mit ihrem Bundesvorstand nicht nur auf die Vergangenheit der Flügelkämpfe fixiert waren. Es zeigte sich auch, daß der Bundesvorstand durchaus bereit war, die Kontrollgremien der Partei zu ruinieren, nur um sich zu behaupten. Zwar konnte er den Finanzskandal zunächst als läßliche Sünde grüner Weltschau herunterspielen. Aber in der Parteiöffentlichkeit war inzwischen klar, daß die Überprüfungen die Vorwürfe keineswegs vollständig entkräften konnten. Die politische Alternative auf dem Parteitag hieß mithin auch: Vertuschung oder tatsächliche Kontrolle; oder mit anderen Worten: Basis oder Bundesvorstand. Denn die Basis kann – diese Erkenntnis setzte sich endlich durch – nur durch funktionierende Kontrollen zu ihrem Recht kommen.

Die Entscheidung von Karlsruhe stellt auf keinen Fall einen Sieg der Realos dar. Sie drückt vielmehr aus, daß die Grünen ihre Flügelkämpfe endgültig satt haben. Sie ist ein Sieg der Partei über die Strömungen. Nach dieser Entscheidung wird sich zeigen, wieviel mühselige Rekonstruktionsarbeit noch zu leisten ist: von der Wiederherstellung einer funktionierenden Parteiöffentlichkeit bis hin zum Opfern einiger gefräßiger heiliger Kühe. So hat sich unter anderem auch gezeigt, daß die Grünen sich nicht mehr den Luxus leisten können, Parteifunktionäre nicht ordentlich zu bezahlen. Es hat sich gezeigt, daß der Preis für unklare Verantwortlichkeiten höher ist als die Geldersparnis. Mithin kann diejenige Gruppe auf die Gunst der Stunde hoffen, die die Reorganisation der Partei ausdrücklich auf ihre Fahnen geschrieben hat: die „Aufbruch“-Gruppe.

Was wird nun aus den Fundamentalisten und Ökosozialisten? Schon die Abstimmungsserie in Karlsruhe zeigte, daß der Bundesvorstand sein eigenes Lager nicht mehr dominieren konnte. Auch die Fundis an der Basis entschieden sich offenbar dafür, die tatsächliche Politik des Bundesvorstands und nicht dessen Gesinnung zu beurteilen. Der Versuch, schon in Karlsruhe die Partei zu spalten, scheiterte exemplarisch. Es scheint, viele Fundis haben erkannt, wie unglaubwürdig die radikalökologische Position wird, wenn sie nichts anderes mehr ist als die Eroberung der Machtpyramide. Aber noch ist nicht entschieden, ob Karlsruhe als Parteitag der Spaltung oder einer neuen Einigkeit in die Geschichte eingehen wird.

Klaus Hartung

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