KOMMENTAR: Wende in Memmingen?
■ Zum Freispruch von Magdalena Federlin
Frohlocken allerorten: mit dem Freispruch im Fall Magdalena Federlin sei „die Wende“ in den Memminger Hexenprozessen eingeläutet, heißt es. Aber das ist zuviel der Euphorie. Denn der Richter hat sich auch in diesem Berufungsverfahren angemaßt, eine Indikation im Nachhinein zu überprüfen. Diese Dreistigkeit scheint heutzutage zwar fast niemandem mehr aufzufallen, aber nach dem Wortlaut des reformierten Paragraphen 218 ist sie unzulässig. Danach wird eine Indikation allein nach „ärztlicher Erkenntnis“ gestellt. Zu einer Kontrolle ist niemand, auch kein Richter in Memmingen, berufen. Trotzdem markiert das neue Urteil einen Durchbruch: Endlich wird für „nicht zumutbar“ erklärt, daß Frauen ihr Kind doch zur Adoption freigeben könnten, anstatt abzutreiben. Mit diesem „Argument“ – unisono vom Amtsgericht, der Staatsanwaltschaft und der Justizministerin wiederholt – sollte in Bayern die Notlagenindikation auf kaltem Wege abgeschafft werden. Mit dem neuen Urteil werden die Rechtspolitiker es ein bißchen schwerer haben, die Reform des Paragraphen 218 zu kippen.
Zweifellos ist dieser Erfolg vor Gericht ein Erfolg der Öffentlichkeit. Wie nie zuvor in der Bundesrepublik hatte sich der Protest gegen eine rigide Abtreibungspolitik auf eine Stadt und ein Gericht konzentriert. Der gute Ruf des sauberen Allgäustädtchens war ernsthaft in Gefahr. Die Machenschaften der Justiz erwiesen sich als kontraproduktiv, denn sie haben mehr Gegner als Anhänger mobilisiert. Diese Entwicklung spüren auch die Richter deutlich, die sich mit dem Prozeß gegen den Frauenarzt Theissen abmühen. Ob sie das Signal, das ihr Richterkollege setzte, als eine Chance nutzen oder der Ordnungspolitik verhaftet bleiben – dies heute prognostizieren zu wollen, wäre nicht nur verfrüht, sondern leichtsinnig.
Gunhild Schöller
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