KOMMENTAR: Keine Entwarnung
■ Das Urteil im Strobl-Prozeß
Das neuerliche Urteil gegen Ingrid Strobl ist hoch — viel zu hoch, aber nicht überraschend. Zumal das Oberlandesgericht Düsseldorf nach der Revision des Bundesgerichtshofs die Angeklagte unverzüglich warnte, daß sie auch nach Wegfall des 129a-Vorwurfs mit einer hohen Freiheitsstrafe rechnen müsse. Diese Warnung haben die Düsseldorfer Richter nun wahr gemacht. Auf die zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft schlugen sie noch ein halbes Jahr — sozusagen als Schamfrist. Jedes Strafmaß darunter hätte das ursprüngliche Urteil nur noch hanebüchener erscheinen lassen, hätte die Befangenheit und Schlamperei der damaligen Richter noch deutlicher gemacht.
Ingrid Strobl ist und bleibt auch frei. Viele werden erleichtert aufatmen. Am Paragraphen 129a und seiner Handhabung aber hat sich nichts verändert. Denn die Ohrfeige, die die Bundesrichter austeilten, indem sie den 129a-Vorwurf aufhoben, richtete sich ja nicht gegen den Gesinnungsparagraphen sondern gegen die Beweisführung des Düsseldorfer Oberlandesgerichts. Denn der Bundesgerichtshof erklärte ja selbst, daß persönliche Beziehungen und „geistige Nähe“ zu Mitgliedern einer „terroristischen Vereinigung“ ein durchaus „tragfähiges Indiz“ für eine Verurteilung nach Paragraph 129a sein können — vorausgesetzt die Richter geben sich bei ihrer Arbeit, bitte schön!, etwas mehr Mühe. Daß Ingrid Strobl jetzt frei ist und nicht noch Monate oder Jahre im Knast bleiben muß, ist also nicht einem Umdenken in Sachen Paragraph 129a geschuldet, sondern in erster Linie dem Protest einer breiten Öffentlichkeit. Im Fall der bekannten Journalistin schien den Bundesrichtern etwas mehr Sorgfalt offensichtlich politisch opportun.
Eine Schlappe für die Richter war der Prozeß also nur sehr bedingt. Und auch die breite Aktion gegen die „Revolutionären Zellen“, die im Dezember 1987 ihren Anfang nahm, scheint aus heutiger Sicht weit mehr als „ein Schlag ins Wasser“. Sicher, keinem und keiner konnte eine RZ-Mitgliedschaft oder Unterstützung angehängt werden. Aber die Verhaftungen von Ulla Penselin und Ingrid Strobl und der Prozeß gegen letztere, die zahlreichen 129a-Ermittlungsverfahren gegen Leute in Köln, Hamburg und im Ruhrgebiet, die Beugehaft für zwei Aussageverweigererinnen haben die militante Szene und ihre SympathisantInnen ziemlich gebeutelt. Seit drei Jahren ist es um die RZs still geworden. Und noch immer sind mindestens fünf Leute seit jenen Dezembertagen untergetaucht. Sicher haben sie den Prozeß gegen Ingrid Strobl so genau wie möglich verfolgt und wissen, was ihnen blüht, wenn sie geschnappt werden. Zumal sie kaum mit der gleichen engagierten Öffentlichkeit rechnen dürfen wie im Falle Ingrid Strobls. Ulrike Helwerth
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