KOMMENTAR: Verzögerungstaktik
■ Läßt Kohl die Gatt-Verhandlungen scheitern?
Minister, Regierungschefs und Handelsemissäre zahlreicher Länder treffen sich ab Freitag in Genf, um doch noch den Durchbruch bei den an der Agrarfrage festgefahrenen Gatt-Verhandlungen zu schaffen. Mitte nächster Woche dürfte entschieden sein, ob im Dezember in Brüssel ein neues Welthandelsabkommen unterschrieben werden kann oder demnächst der weltweite Krieg mit Subventionen, Einfuhrbarrieren und anderen protektionistischen Maßnahmen erst richtig losgeht. Denn gelingt keine Einigung in der Agrarfrage, kommt es auch nicht zu Vereinbarungen in anderern Bereichen.
Alle an den Verhandlungen beteiligten 107 Staaten wissen, daß zumindest langfristig von einem solchen Handelskrieg niemand profitieren wird. Die Hauptleidtragenden wären die weitgehend von Agrarexporten abhängigen Länder außerhalb Westeuropas, Nordamerikas und Japans. Mit ihren Produkten wären sie gegen die hochsubventionierten Ausfuhren vor allem der EG und der USA auf dem Weltmarkt noch weniger konkurrenzfähig als heute schon. Doch auch für die US-Farmer und die EG-Bauern brächte ein Scheitern der Verhandlungen im Endeffekt mehr Nachteile als Vorteile.
Dennoch läßt Kohl seinen Agrarminister Kiechle aus rein koalitionstaktischen Gründen in der EG seit Wochen eine Einigung auf einen gemeinsamen Vorschlag zur Kürzung der Agrarsubventionen hintertreiben. Von der Opposition im Bundestag gibt es dagegen keinerlei Widerstand — sie hat das Thema verschlafen. Zwar wäre nach allen derzeitigen Umfragen Kohls erneute Kanzlerschaft selbst dann nicht mehr zu verhindern, wenn alle deutschen Bauern am 2. Dezember den Urnen fernblieben oder gar ihr Kreuzchen bei SPD und Grünen machten. Doch ein Protestverhalten der für die CSU besonders wichtigen bayerischen Landwirte könnte das Gewicht der CSU in der Bonner Koalition erheblich schwächen und entsprechend zu einer Stärkung der FDP führen. Daran ist Kohl nicht gelegen. Deshalb kalkuliert er inzwischen auch ein Scheitern der Gatt-Runde ein und ist über die unerwartete französische Unterstützung hocherfreut — auch wenn es den Agrariern jenseits des Rheins vor allem um die Sicherung der Exportsubventionen geht. Die bisherige Bonner Strategie, Entscheidungen über Agrarsubventionen auf das Brüsseler Gatt-Ministertreffen nach dem Bundestagswahltag zu verschieben, dürfte nicht aufgehen. Die Dritte-Welt-Staaten und die Getreideexporteure des Nordens bestehen auf einer Einigung bis Ende November. Kommt sie nicht zustande, platzt die Verhandlungsrunde. Und Helmut Kohl wird sich sehr schwer tun, dafür einen anderen Schuldigen zu präsentieren. Andreas Zumach
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