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KOMMENTARNationalisten gewinnen

■ Muslimanen und Serben müssen Kompromiß finden

Daß die Nachfolgeorganisationen der Kommunisten bei der Serie von Wahlen in vier der jugoslawischen Republiken einen schweren Stand haben werden, war leicht vorauszusehen. Obwohl sich die Parteien, die jetzt „sozialistisch“ heißen, alle Mühe geben, ihr Outfit zu modernisieren und junge Reformkräfte in die Arena zu schicken, ist ihr Ansehen in der Öffentlichkeit aufgrund der Vergangenheit allzu ramponiert. Überraschender schon ist die Niederlage des „Bundes der Reformkräfte“, der vom jugoslawischen Ministerpräsidenten Ante Markovic ins Leben gerufenen Partei, die noch für ein demokratisches und einiges Jugoslawien eintritt. Denn das wäre eine Perspektive, die trotz aller Differenzen zwischen den Menschen im Vielvölkerstaat durchaus eine Zukunft haben könnte.

Doch die Mehrheit hat sich in Bosnien anders entschieden und entlang der ethnischen Grenzen gewählt. Der muslimischen Mehrheitsbevölkerung geht es darum, nach Jahrhunderten eigener Kulturentwicklung, deren Anfang im osmanischen Reich zu suchen ist, endlich als gleichberechtigte Nationalität in Jugoslawien anerkannt zu werden. Noch immer sehen die in Bosnien über beträchtliche Bevölkerungsanteile verfügenden (orthodoxen) Serben und (katholischen) Kroaten in den Muslimanen nur muslimische Volksangehörige und wollen ihnen keine eigene Staatlichkeit zugestehen. Sowohl die Führer der Republiken Kroatien wie auch Serbien haben in den letzten Monaten Ansprüche auf Bosnien mit dieser Argumentation begründet. Die Nationalisten der Republik Serbien wollen zumindest den Anschluß von Teilen Bosniens an Serbien. Angesichts dieser spannungsgeladenen Situation tut das muslimanische Lager gut daran, die serbische Partei in Bosnien in eine Koalition einzubinden. Und überraschenderweise haben die Vertreter der Serben in Bosnien auch trotz Gegendrucks aus Belgrad Verhandlungsbereitschaft signalisiert. In Kroatien hingegen ist Präsident Tudjman zufrieden, wenn Bosnien als eigenständige Republik weiterbestehen könnte und nicht an Serbien fällt. Ein in Teile zerfallendes Bosnien würde den Beginn von Grenzverschiebungen in Jugoslawien darstellen, die, ohne kriegerische Auseinandersetzungen zu provozieren, kaum vorstellbar sind. Erich Rathfelder

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