KOMMENTAR: Kandidat der Einheit
■ John Major ist neuer britischer Premierminister
Die britischen Konservativen haben sich für Parteifrieden und Kontinuität entschieden. Der neue Premierminister John Major ist der Zögling Margaret Thatchers und Kandidat der Rechten. Nur von diesem Flügel drohte die Gefahr einer Rebellion, falls sein Kandidat durchgefallen wäre. Die „Tory-Linke“ wird sich mit einem Kabinettsposten für Michael Heseltine zufrieden geben. Ihr ging es vor allem darum, Thatcher loszuwerden. Für die Einheit der konservativen Partei werden schon allein die Umfrageergebnisse sorgen, nach denen die Tories unter Major deutlich vor der Labour Party liegen. Diese Umfragen haben entscheidend zu Thatchers Sturz beigetragen: Viele Abgeordnete mußten unter ihrer Führung bei den nächsten Wahlen um ihre lukrativen Posten fürchten. Worin Major sich vor allem von seiner Vorgängerin unterscheidet, ist der Stil seiner Amtsführung. Wo Thatcher einen Konfrontationskurs gefahren ist, setzt Major auf Beratung und Übereinstimmung mit seinem Kabinett. Um geringfügige Änderungen an der Kopfsteuer, die er mitentwickelt hat, wird er nicht herumkommen, will er die „Parteilinke“ nicht verprellen.
An der Quintessenz wird sich jedoch wenig ändern: Die Kopfsteuer bleibt ein Instrument, durch das die Armen die Reichen und der Norden den Süden subventionieren. In der Frage der Wirtschafts- und Währungsunion Europas werden Majors Anhänger allerdings eine Überraschung erleben. Im Gegensatz zu früher, wo er als Finanzminister Thatchers antieuropäischen Äußerungen wie ein Papagei nachplapperte, machte er gestern in seiner Antrittsrede deutlich, daß Großbritannien „eine volle und führende Rolle in Europa“ spielen werde. Seine elf EG-Kollegen werden es dankbar vernommen haben.
Für die Labour Party ist Thatchers Sturz eine Katastrophe. Sie war der sicherste Garant für einen Labour-Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen. Auch wenn Kinnock und sein Schattenkabinett nach wie vor Optimismus ausstrahlen, wissen sie, daß die Regierungsbänke für sie in weite Ferne gerückt sind. Die Sozialdemokratisierung hätte sich nur dann ausgezahlt, wenn sich die Tories unter Thatcher weiter nach rechts entwickelt hätten. Gegen die Konservativen unter Major wird die Labour Party es schwer haben, sich als Partei der Mitte zu etablieren. Einen Vorteil hat Majors Wahl jedoch für die Opposition: Neben dem blassen und profillosen Regierungschef wirken Paddy Ashdown von den Liberalen und selbst Neil Kinnock fast wie Staatsmänner. Ralf Sotscheck
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