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KOMMENTARDie Gleichgültigkeit des Wohlstands

■ Lieber nach Mailand als nach Leipzig?

Ein Jahr ist es nun her, daß die Politiker aller Bundestagsparteien versprachen, der Bevölkerung der DDR — jetzt: den „fünf neuen Bundesländern“ — mit Rat und Tat zu helfen. Besonders die zerrütteten und finanzschwachen Kommunen, so hieß es, brauchten dringend Unterstützung.

Ein Jahr ist es auch her, daß eine Delegation des Frankfurter Magistrats unter Leitung von Oberbürgermeister Hauff (SPD) Leipzig besuchte und dort mit einer feierlichen Erklärung eine enge Partnerschaft besiegelte. In der Zwischenzeit ist trotz der desolaten Situation in Leipzig so gut wie nichts passiert. Frankfurt, eine der reichsten Kommunen der alten wie der neuen Bundesrepublik, ist viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Ruf als europäische Banken- und Kulturmetropole zu pflegen, als sich den wirklichen Herausforderungen des um den Osten erweiterten „europäischen Hauses“ zu stellen. Noch auf ihrer jüngsten Rede über „Frankfurts Platz im neuen Deutschland“ wies Kulturdezernentin Linda Reisch (SPD) auf die gewachsene Konkurrenz mit Leipzig, Dresden und Weimar hin. In der Partnerstadt Leipzig, wo man schon froh wäre, über ein Zehntel des Frankfurter Kulturetats (knapp 500 Millionen DM) zu verfügen, war Frau Reisch, die öffentlich bekannte, im Zweifel, lieber nach Mailand zu reisen, noch nicht. Während eines ganztägigen „Kulturdialogs Frankfurt-Leipzig“, der in dieser Woche — von der „Friedrich-Ebert- Stiftung“ organisiert — Künstler, Kulturpolitiker und Publizisten beider Städte unweit von „Auerbachs Keller“ zusammenbrachte, fehlte sie. Statt dessen war ihr Amtsvorgänger Hilmar Hoffmann (SPD) angereist. So symptomatisch diese politische Abstinenz des Frankfurter Magistrats für das gesamte Verhalten der westdeutschen Städte ist, spannend war der Dialog dennoch. Er offenbarte das ganze Ausmaß der Schwierigkeiten wie der Chancen, sie zu überwinden: Die völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnisse in den beiden deutschen Staaten haben, neben einer prekären Psychologie von Siegern und Verlierern, bislang unbekannte Sprach- und Begriffshindernisse etabliert, wobei die Sieger häufig als Besserwisser auftreten. Auch die Fronten innerhalb der Leipziger Künstlerszene scheinen kreuz und quer zu verlaufen. Beim Kampf um die Erhaltung der vielzitierten „Basiskultur“ mischen sich immer wieder die Nischeninteressen alter SED-Kader mit wirklichen Bedürfnissen einer neuen städtischen Kultur.

Die Arroganz der Gleichgültigkeit in den westdeutschen Metropolen, Geiz und biedermeierliche Selbstzufriedenheit schwächen die neue Republik gerade da, wo sie demokratische Verve am nötigsten hat. Wenn „Kunst die Erforschung der Wirklichkeit ist“, wie Jean-Christophe Ammann, Frankfurter Museumsdirektor, sagte, dann ist diese Politik der Verweigerung auf fahrlässige Weise realitätsuntüchtig. Verlangt ist jetzt die Kunst, sich nichtbesserwisserisch einzumischen. Reinhard Mohr

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