KOMMENTAR: Aktenstaub unter Palmen
■ Berlin und seine ständigen Geheimdienstkrisen
Männer — hiermit sei es zugegeben — lieben Agentengeschichten. Wenn Agent 0815 in größter Not rasch noch den Mikrofilm aufißt, um dann doch noch auf einen Palmenstrand und in die Arme der geheimnisvollen Schönen zu sinken, dann ist all das dabei, was wir im trüben Alltag entbehren müssen: Einsame Kämpfer, von denen alles abhängt, heile Ideale und die Romantik, die im geheimen so gut gedeiht. Traurig, aber wahr, daß der trübe Alltag längst auch das Geheimdienstmetier erreicht hat. Von den Berliner Verfassungsschützern, das haben wir gelernt, ist alles mögliche zu erwarten, bloß keine nutzbringende Information. Jedes Ferngespräch des Nachrichtendienstes wurde von der Stasi belauscht — die auf diesem Weg auch nur erfahren durfte, daß die Westberliner Geheimdienstler gegen ihre gewählte Regierung intrigierten. Den Umbruch in der DDR konnte das Landesamt nicht voraussagen, dafür sammelten sie Zeitungsausschnitte über die Bande zwischen AL und SEW. Das Dunkel der Geheimhaltung verbarg — ein großes Nichts.
Das Fischereiamt könnte nicht unwichtiger sein. Und trotzdem wird Berlin permanent von Geheimdienstkrisen erschüttert und muß der jeweils regierende Innensenator nur eine Schublade mit Akten ziehen, um den Amtsvorgänger zu desavouieren. Es muß der Nimbus sein, der all das erlaubt: die Spekulationen und Indiskretionen, Andeutungen und halb bewiesenen Vorwürfe. Unter CDU-Ägide blühten die Skandale. SPD-Innensenator Erich Pätzold wollte das Amt reformieren. Doch spätestens jetzt wird klar, daß auch Pätzold ein Eiferer war, der seine Reformen unternahm, ohne die Reaktionen der Geprellten einzukalkulieren.
Das alte Spiel geht deshalb weiter. Obwohl es mehr Aktenstaub atmet als Spannung und Romantik, scheint es einige zu faszinieren. Aber wäre es nicht besser für alle Beteiligten, sie würden ihre Akten nehmen, sie aufessen — und dann mit ihren Liebsten dorthin gehen, wo die Palmen wachsen? Hans-Martin Tillack
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